46. Grimme-Preis 2010

Tabubruch (DSF)

Adolf-Grimme-Preis „Spezial“ an

Aljoscha Pause (Buch/Regie)

Inhalt

Plötzlich wird darüber diskutiert. Dabei kann es schon rein statistisch gesehen nicht sein, dass unter so vielen Männern im Fußball nicht ein einziger Schwuler auf dem Platz steht. Mit der Dokumentation „Das große Tabu“ hat das DSF eine Diskussion angestoßen, die nun in der Fortsetzung begleitet wird. Die Vorurteile und Ängste, die unter Fans wie Vereinen allgegenwärtig sind, versucht der DFB unter seinem Präsidenten Theo Zwanziger aufzubrechen: „Ein Sport, der so nah bei den Menschen ist, muss eine gesellschaftliche und politische Rolle spielen!“ Die Schirmherrschaft beim Christopher Street Day, ein Forum für den Toleranzgedanken bei einem Länderspiel und die Unterstützung von Spielern wie Philipp Lahm und Tanja Walter-Ahrens, die sich gegen Homophobie stark machen – der „neue Weg der Homosexualität im Fußball“ ist dennoch ein weiter Weg, wie Interviews zeigen.

Viele Fans würden schwule Spieler nicht akzeptieren, und auch zahlreiche Bundesliga-Profis halten homosexuelle Mitspieler für undenkbar oder sehen ein mögliches Outing zumindest als problematisch an. Dennoch gibt es Netzwerke schwuler Fußball-Profis, die unter ihrem erzwungenen Versteckspiel leiden. Da gehe es nicht nur um die Akzeptanz in der Öffentlichkeit, erläutert Sportpsychologe Martin Schweer, sondern auch um das persönliche Umfeld, das sie sich etwa mit einer Familie geschaffen haben.

Jurybegründung

Es scheint zunächst, als gebe es da nirgends ein Tabu mehr zu brechen: Schwule und Lesben sind in Politik und Kultur, in Film und Fernsehen bekannt, anerkannt, und sie können offen zu ihrer Neigung stehen. Doch gibt es eine Leerstelle, über die auch im Fernsehen so gut wie niemals berichtet wird - Homosexuelle im Profi-Fußball.

Das ist ein Thema, das weder gute Einschaltquoten verspricht noch aufregende Schlagzeilen - zumindest, solange sich nicht der erste Bundesliga-Spieler outet. Der DSF-Autor Aljoscha Pause hat dieses weitgehend verborgene Thema dennoch über zwei Jahre intensiv und nachdrücklich verfolgt, hat darüber zwei Filme gedreht,  die nicht reißerisch sind oder sensationssüchtig, sondern die eher das Gegenteil sind – manchmal sogar sehr leise und im Grunde in vielerlei Hinsicht traurig.

Sensibel nimmt Pause dabei die Zwischentöne in der Debatte wahr. Wenn etwa Trainer Christoph Daum sich einerseits liberal geben will und andererseits in seinen Sätzen doch immer wieder Homosexuellen-Klischees durchklingen. Der Autor zeigt die auf dem Fußballplatz -- vor allem auch unter Fans -- weit verbreitete Homophobie, und er erklärt, warum ein einschlägiges Outing für einen schwulen Fußballstar karrieregefährdend ist. Selbst das bloße Gerücht,  jemand sei schwul, taucht da in den Vertragsverhandlungen beim Vereinswechsel als belastend auf.

Mit diesen aufdeckenden Beobachtungen wird eine Debatte journalistisch gefördert, die auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern nur selten zur Sprache kommt. Beeindruckend ist, wie nah Pause mit seinem Team an die sorgsam abgeschirmten Stars der Bundesliga kommt. Ihre Statements, die zwischen sozial erwünschter Toleranzerklärung und hartnäckigen Vorurteilen schwanken, lassen so zugleich ein Sittengemälde entstehen.

Pause sucht in diesem Sujet nicht die Sensation, er jagt keinem Outing hinterher. Seine beiden Filme sind im besten Sinne aufklärerisch. Im ersten Film, "Das große Tabu", zeigt er einen Missstand; im zweiten -- "Tabubruch" -- beschreibt er, wie versucht wird, diesen Misstand zu beheben. Das ist von einer Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit, die vorbildlich ist für den gesamten Sportjournalismus im Fernsehen

 
Zurück