(Constantin Television für ZDF)
Grimme-Preis an:
Matti Geschonneck (Regie)
Paul Mommertz (Buch)
Magnus Vattrodt (Buch)
Philipp Hochmair (Darstellung, stellv. für das Ensemble)
Produktion: Friederich Oetker, Reinhold Elschot
Erstveröffentlichung: ZDFmediathek, Donnerstag, 20. Januar 2022
Sendelänge: 105 Minuten
Inhalt:
Der Fernsehfilm basiert auf der einzig erhaltenen Abschrift des Besprechungsprotokolls, das während der historischen Wannseekonferenz von Adolf Eichmann verfasst wurde. Reinhard Heydrich übernahm in seiner Funktion als Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS den Vorsitz und lud am 20. Januar 1942 zu einer Besprechung über die so genannte „Endlösung der Judenfrage“ mit anschließendem Frühstück in eine Villa am Wannsee ein. Seiner Einladung folgten hochrangige Vertreter des NS-Regimes aus SS, Reichskanzlei, Ministerien, Polizei und Verwaltung, um den systematischen Massenmord an Millionen von europäischen Juden zu organisieren, über Zuständigkeiten zu streiten und im Anschluss gesellig miteinander zu frühstücken.
Den Konferenzteilnehmern – und Zuschauenden – werden nur kurze Verschnaufpausen von der Konferenz gewährt: eine kurze Absprache im kleinen Kreis, eine Tasse Kaffee, eine Zigarettenpause am See.
Begründung der Jury:
Der Film folgt sprachlich genau dem Protokoll und entfaltet so den ganzen Horror der „Endlösung der Judenfrage“. An langen Tischen, die im Hufeisen angeordnet sind, sitzen die Teilnehmer und besprechen den Massenmord. Die bürokratischen Begriffe – die Rede ist etwa von „Sonderbehandlung“, von „Endlösungsräumen“ oder von „Umvolkung“ – maskieren den geplanten Massenmord und zeigen gerade dadurch besonders die Unmenschlichkeit dieses Vorgangs. Auch die Zahlen demonstrieren die Ungeheuerlichkeit. So wird am Beispiel des Massakers von Babyn Jar ermittelt, wie viele Menschen pro Tag erschossen werden könnten. Die wenigen privaten Gespräche wirken dagegen fast wie eine Provokation, weil beispielsweise die Nachfrage zum Nachwuchs seltsam unangebracht erscheint. Der Film setzt auf die Einheit von Ort, Zeit und Handlung und bleibt während der Wannseekonferenz vornehmlich im Sitzungszimmer der Villa: Den Zuschauenden wird keine noch so kurze Fluchtmöglichkeit in „entspannende“ Bilder, Kostüm und Ausstattung ermöglicht, denn auch wenn sich die kurze Gelegenheit bietet, über die Schnittchen oder den Wannsee zu schauen, wird der Schauplatz in entsättigten Farben gezeigt. Der bewusste Verzicht auf Musik unterstützt auf auditiver Ebene die nüchterne Atmosphäre.
Durch die formale Strenge ist der Film ästhetisch so trocken wie das zugrundeliegende Protokoll. Dass dieses formale Experiment gelingt, ist eine große und großartige Leistung des gesamten Teams. Matti Geschonneck (Regie) inszeniert die Trockenheit und bürokratische Atmosphäre der Wannseekonferenz ohne Verstaubtheit und macht sie ästhetisch erfahrbar. Die klugen Dialoge von Paul Mommertz und Magnus Vattrodt (Buch) transformieren die historischen Figuren zu fein ausdifferenzierten Persönlichkeiten, die mit all ihren Hoffarten, Geltungsbedürfnissen, kleinlichen Verdruckstheiten und bürokratischen Kompetenzstreitigkeiten zu normalen Menschen werden – ganz im Sinne von Hannah Arendts Diktum der „Banalität des Bösen“. Damit schafft es der Film, die Monstrosität der Ereignisse ohne Monster zu zeigen. Verkörpert werden die Bürokraten der „Endlösung“ von einem herausragenden Schauspielerensemble, in dem jeder Einzelne die Ästhetik der Trockenheit nuancenreich umsetzt.
Verschiedene Figuren äußern Bedenken zur „Endlösung“, die moralischen Bedenken werden jedoch nur in Bezug auf die deutschen Soldaten geäußert. Hier spielt der Film mit der Erwartung der Zuschauenden, dass das gefühlte Unbehagen doch wenigstens von einer moralischen Figur geteilt werden müsste – wider des historischen Wissens. Mit dem Einsatz von Gas zur Ermordung jüdischer Menschen wird eine effektive Art des Massenmordes eingeführt, die als humane Lösung für deutsche Soldaten bei der schweren Aufgabe präsentiert wird.
Wie nebenbei werden die Strukturen des NS-Regimes und die Arbeitsweisen aller Beteiligten seziert: Akteure, die den Führerwillen interpretieren; Hitler, der keine definitiven Entscheidungen trifft und damit Kompetenzstreitigkeiten befördert, sodass sich alle Beteiligten in ständiger Konkurrenz und Überbietungslogik zueinander befinden.