(Studio Zentral für RTL/RTL+)
Grimme-Preis an:
Jana Forkel (Buch)
Elsa van Damke (Buch/Regie)
Marie Bloching (Darstellung)
Erstveröffentlichung: RTL+, Montag, 25. November 2024, 10.00 Uhr
Sendelänge: 5 x 23 Minuten
Inhalt:
Amelie (Marie Bloching) arbeitet im Zimmerservice in einem Luxushotel. Nachdem sie dort in der Teeküche vergewaltigt wurde, entwickelt sie Superkräfte: Wenn sie sexuell übergriffige Männer berührt, hat sie kurze Visionen von dem Übergriff und entwickelt als Antwort darauf übernatürliche Kräfte – Dinge um sie herum explodieren und sie kann die Täter mit einer Art Strahlenkraft ganz ohne Berührung bezwingen.
In fünf Folgen zeigt die Serie (Regie: Elsa van Damke), wie Amelie, ihr bester Freund Tristan (Bless Amada), der als Wachmann im Hotel arbeitet, und ihre beste Freundin Johanna (Shakiba Eftekhari-Fard) Jagd auf Sexualstraftäter machen und sie bestrafen. Dafür schaffen sie die Persona Hysteria, für die sie – wie es sich für Superheldinnen gehört – ein wiedererkennbares Outfit kreieren. Unter dem Hashtag #Hysteria verfolgt die sich schnell bildende Community die Aktionen. Aber „Angemessen Angry“ kombiniert zur Superheldinnenstory noch einen zweiten Handlungsstrang. Die Serie erzählt auch vom Trauma der Vergewaltigung, das Amelie zuerst verdrängt, das sich aber nicht beiseiteschieben lässt. Von Alpträumen geplagt und von ihrer Freundin gedrängt versucht sie schließlich ihr Trauma in einer Gruppentherapie aufzuarbeiten. In der letzten Folge kommt es zum Showdown, bei dem Amelie auf ihren Vergewaltiger trifft.
Begründung:
„Angemessen Angry“ bewegt sich zwischen den Genres und wagt damit eine schwierige Balance, die von stereotypen, holzschnittartigen Figuren einerseits und ‚echten‘ Menschen mit psychischen Verletzungen andererseits handelt. Diese gewagte Kombination wird von der Doppelfigur Hysteria/Amelie getragen. Sie ist nach der Vergewaltigung nicht nur verletzt, sondern auch wütend, und diese Wut ist ihr Motor, als Superheldin und als ‚normale‘ Frau.
Hysteria verfolgt den archaischen Traum nach Rache. Die Szenen rund um die Superheldin sind dicht am Klamauk, was die Serie trotz der Schwere des Themas auch leicht und unterhaltsam macht. Wenn Hysteria in Rage ist, klirrt und scheppert es. Diese materielle Zerstörung folgt einer Steigerungslogik und macht ungeheuren Spaß. Auch die Rachefeldzüge gegen die Vergewaltiger steigern sich von Folge zu Folge: Zuerst ringt sie ihnen vor laufender Kamera ein Geständnis ab. Aber da dies keine Konsequenzen hat, wird sie immer radikaler, bis sie das metaphorische Rachegelüst vom ‚Schwanz abschneiden‘ in die Tat umsetzt. Dies stellt einen Wendepunkt dar für Amelie und ihre Follower, aber auch für das bis dato auch belustigte Publikum: Die Unterstützung, die sie bis dahin erfährt, schlägt in Ablehnung und Hass um.
Denn Amelie ist nicht wie ‚normale‘ Superheld*innen, die zwar mit einer „backstory wound“ ausgestattet sind, die aber nur zur Erklärung ihrer Mission dient. Sie sind eben nicht traumatisiert wie Hysteria, die den Unterschied bereits in den ersten Minuten der Serie reflektiert: Wenn das Trauma zum Alltag gehört, dann ist man ein Niemand oder noch schlimmer – eine Frau. Hysteria/Amelie ist nicht in einer phantastischen Welt situiert, sondern in unserer, und sie muss nicht die Welt retten, sondern sich selbst.
Die Frage, wie es um unsere Welt bestellt ist, durchzieht die ganze Serie. So ploppen als Antwort auf die Frage, warum Amelie ihren Vergewaltiger nicht angezeigt habe, nur unzählige Artikel von #MeToo-Fällen auf. Oder der Besuch einer Gerichtsverhandlung wandelt sich zu einer Parodie von „Wer wird Millionär?“. Den angeklagten Männern werden Fragen rund um Vergewaltigungen gestellt, die zeigen, dass nur 10 Prozent angezeigt werden und davon nur 8 Prozent in Verurteilungen münden. Das Quiz heißt entsprechend: „Wer wird freigesprochen?“ Gegen diese vordergründig humorvolle Szene steht der zunehmende Horror, wenn Amelie überall sexuell übergriffigen Männer begegnet. Auch werden die Folgen ihrer Vergewaltigung an keiner Stelle bagatellisiert. Amelie muss lernen, ihr Trauma zu verarbeiten, und das gelingt ihr, indem sie es als solches anerkennt. Auf diesem Weg wird sie von ihren Freunden, der Selbsthilfegruppe und ihrer Therapeutin unterstützt, die sich schließlich auch gegen ihren eigenen Ehemann mit ihr solidarisiert.
„Angemessen Angry“ schafft die wunderbare Figur einer ganz und gar (über-)menschlichen Frau, die völlig angemessen wütend ist und uns auffordert, den Zustand der Welt nicht einfach hinzunehmen.