(Turbokultur für ARD Degeto/hr)
Grimme-Preis an:
David Hadda (stellv. für das Buch/Produktion)
Anja Marquardt (Regie)
Clara Zoë My-Linh von Arnim (Regie)
Martin Danisch (Produktion)
Aaron Altaras (Darstellung)
Sunnyi Melles (Darstellung)
Erstveröffentlichung: ARD Mediathek, Freitag, 3. Mai 2024
Sendelänge: 6 x 50 Minuten
Inhalt:
Die Zweiflers sind eine jüdische Familie im Deutschland der Gegenwart. Symcha (Mike Burstyn) und Lilka Zweifler (Eleanor Reissa) haben den Holocaust überlebt und sich nach dem Krieg in Frankfurt am Main ein Delikatessengeschäft aufgebaut. Ihre Tochter Mimi (Sunnyi Melles) widmet sich aufopferungsvoll dem Betrieb – und überwacht genauestens die Geschicke ihrer drei Kinder, obwohl diese bereits erwachsen und auf der Suche nach ihrem eigenen Platz im Leben sind. Als Großvater Symcha beschließt, das Geschäft zu verkaufen, rüttelt das die gesamte Familie auf.
Zudem kommen plötzlich Gerüchte auf, dass das Zweifler-Unternehmen womöglich auf einem Verbrechen begründet ist. Die Investoren springen ab und der älteste Sohn Samuel (Aaron Altaras) muss sich fragen: Kann, nein, muss er die Familiengeschäfte übernehmen? Oder steht für ihn seine eigene Familie nun an erster Stelle? Seine Freundin Saba (Saffron Marni Coomber), die er erst vor ein paar Monaten lieben gelernt hat, erwartet ein Kind von ihm – und dass er Verantwortung übernimmt. Der Streit um die geplante Beschneidung des gemeinsamen Sohns legt tiefe intergenerationale Konflikte und Traumata innerhalb der Familie frei. Nicht nur Samuel muss eine weitreichende Entscheidung treffen.
Begründung:
„Die Zweiflers“ sind eine Familie, wie man sie im deutschen Fernsehen noch nicht erzählt bekommen hat. Ihre Mitglieder kämpfen mit den gleichen Widersprüchen wie überall: Abgrenzung versus Zusammenhalt, Tradition versus Selbstverwirklichung, Egoismus versus Aufopferung. Mit einem Unterschied: Die Zweiflers sind eine jüdische Familie in Deutschland. Die Großeltern haben die Konzentrationslager der Nationalsozialisten überlebt, die Auswirkungen auf die Kinder und Enkel kommen erst nach und nach zum Vorschein. Erzählt wird von transgenerationalen Traumata nie direkt, der Schöpfer und Autor David Hadda, selbst Enkel von Holocaustüberlebenden, webt die Trauer, die Schuldgefühle und die Suche nach Sicherheit und Zugehörigkeit in die Dialoge und in die ungesagten Dinge zwischen seinen Figuren.
Besetzt ist diese Serie exzellent – man wartet begierig, welche freundliche Bösartigkeit Sunnyi Melles als übergriffige Ehefrau und Mutter als nächstes abfeuern wird, und findet in Aaron Altaras als ältestem Sohn Samuel einen tragischen Helden mit Hollywood-Appeal. Die Dialoge sind witzig und elegant, als Zuschauerin ist man mittendrin, leidet und lacht – der Begriff Tragikomödie hat selten so gut gepasst wie auf diese Geschichte. Beim International Series Festival von Cannes wurden „Die Zweiflers“ als beste Serie prämiert, die ARD hat ihre Produktion im Spätprogramm und der Mediathek versteckt.
Alles sieht bei „Die Zweiflers“ größer, glamouröser und gleichzeitig glaubwürdiger aus. Frankfurt am Main ist fotografiert wie eine echte Großstadt, unübersichtlich, chaotisch, glänzend und heruntergekommen. Eine Liebesgeschichte beginnt im Hinterhof eines Restaurants beim Rauchen, ein Stückchen Vorhaut wird vom betrunkenen Vater und Großvater auf einer Grünfläche vergraben. Die Innenräume des Zweifler-Hauses zeigen gelebtes Leben über drei Generationen, ein Ort, der Wärme und Rückhalt vermittelt, aber gleichzeitig auch etwas Beengtes, Einsperrendes hat.
Die Regisseurinnen Anja Marquardt und Clara Zoë My-Linh von Arnim inszenieren die sechs Folgen leichtfüßig, aber auch immer wieder nachdenklich bis tieftraurig. Fast beiläufig erzählt die Serie, wie präsent Antisemitismus in allen Bereichen der Gesellschaft ist, und entwickelt dadurch eine aktuelle Brisanz. Gleichwohl sind „Die Zweiflers“ als universelle Geschichte zu verstehen, im Stil einer klassischen US-amerikanischen Familiensaga. Ihre schillernden Figuren, viele von ihnen getriebene, manchmal auch zwiespältige Charaktere, sind allesamt so spannend, dass man ihren Geschicken unbedingt folgen will.
Wie der Titel suggeriert, geht es in „Die Zweiflers“ um das ständige Hinterfragen des eigenen Seins und Strebens. Und um die Erkenntnis, dass dieses sich nicht losgelöst von der eigenen Familiengeschichte betrachten lässt.