61. Grimme-Preis 2025

Sieben Winter in Teheran

(MADE IN GERMANY Filmproduktion/Gloria Films Production/TS Productions für WDR)

 

Preis der Studierendenjury an:

Steffi Niederzoll (Buch/Regie)

 

Erstausstrahlung: Das Erste, Mittwoch, 14. August 2024, 22.50 Uhr

Sendelänge: 89 Minuten

 

Inhalt:

Der deutsch-französische Dokumentarfilm „Sieben Winter in Teheran“ der Regisseurin Steffi Niederzoll befasst sich mit dem Schicksal von Reyhaneh Jabbari.

Die damals 19-jährige Iranerin wird bei ihrem Nebenjob als Inneneinrichterin von einem älteren Mann angesprochen, der sie um Beratung bei seinen Praxisräumen bittet. Bei dem ersten Treffen zur Besichtigung der Räumlichkeiten versucht der Mann, sie zu vergewaltigen. Reyhaneh wehrt sich und ersticht ihn. Mit ihrer darauffolgenden Inhaftierung beginnen sieben Winter der Ungerechtigkeit. Das Rechtssystem verwehrt ihr unter systematischer Verletzung von Menschenrechten einen fairen Prozess. Mit Folter und Drohungen gegen ihre jüngeren Geschwister wird sie zu einem Geständnis über eine Affäre gezwungen und mit Peitschenhieben erniedrigt.

Im autoritären Iran herrscht das Recht auf Blutrache, wodurch die Familie des Mannes den Tod Reyhanehs verlangen kann. Die Familie fordert, dass sie ihre Angabe über den Tathergang zurückzieht, damit die Ehre des Mannes gewahrt wird. Doch Reyhaneh findet Stärke in der Ungerechtigkeit und bleibt bei ihrer Aussage. Nach sieben Jahren des internationalen Kampfes durch ihre Familie wird Reyhaneh 2014 durch den Sohn des Mannes, der sie zu vergewaltigen versuchte, hingerichtet.

 

Begründung:

„Ich habe zugestochen mit meiner ganzen Kraft, meiner Seele, meinen Träumen.“ Mit diesen und vielen anderen Worten der jungen Reyhaneh ermöglicht Steffi Niederzolls Dokumentarfilm eine erschütternde Auseinandersetzung mit der systematischen Unterdrückung von Frauen.

Durch die enge Zusammenarbeit mit Reyhanehs Familie gelingt es Niederzoll, einen Film zu schaffen, der mithilfe von aus dem Iran geschmuggelten Video- und Tonaufnahmen den Machtmissbrauch und das kollektive Leiden aller darstellt.

„Sieben Winter in Teheran“ gewährt Einblicke in sonst Verborgenes. Mit Hilfe von Miniaturmodellen zeigt der Film die Orte, die nicht gefilmt werden konnten. Dies ist nicht nur ein herausragendes Mittel zur Bebilderung, es lässt sich als Hommage an Reyhanehs Passion der Inneneinrichtung verstehen und vermittelt den Zuschauenden das Gefühl, diese Orte vonReyhaneh selbst gezeigt zu bekommen. Begleitend werden durch die Stimme von Zar Amir Ebrahimi Reyhanehs kluge Worte aus ihren Briefen und Tagebüchern lebendig und geben einen Einblick in ihre Gedankenwelt.

Neben Reyhaneh und ihrer Familie kommen auch ihre Mitinsassinnen zu Wort. Deren Erzählungen vermitteln die Dimensionen der Gewalt und verdeutlichen, dass Reyhanehs Schicksal kein Einzelfall ist und wie bestärkend Solidarität unter Betroffenen wirkt. Der Film zeigt das Bild einer kämpferischen empathischen Frau, die sich trotz eines manipulativen Systems für die Wahrheit entscheidet, denn „der Tod ist leichter zu ertragen als die Ungerechtigkeit“.

Zum Schluss des Films sehen wir in einer Handyaufnahme Reyhanehs Mutter Shole Pakravan vor dem Gefängnis, in dem in diesem Moment ihre Tochter hingerichtet wird – nach sieben Jahren des hartnäckigen internationalen Kampfes, um genau das zu verhindern. Doch wir sehen nicht nur eine trauernde Frau, wir sehen Stärke und eine unvorstellbare Empathie mit dem Sohn von Reyhanehs Vergewaltiger, der die Hinrichtung aufgrund des Rechts auf Blutrache ausführen muss. Reyhanehs Familie, insbesondere ihre Mutter, wird dabei selbst zur Kämpferin für Gerechtigkeit und damit zu einem unfreiwilligen Symbol für einen feministischen Widerstand, der weit über diesen Fall hinausreicht.

„Sieben Winter in Teheran“ ist nicht nur wegen seiner vielschichtigen Narration und beeindruckenden Visualität preiswürdig. Die Aktualität des Films ist zeitlos und überschreitet Ländergrenzen. Denn Gewalt an Frauen existiert nicht nur im Iran, sondern weltweit – auch in Deutschland steigen die Zahlen an geschlechterbezogener Gewalt jährlich. Niederzolls Werk ist ein lauter Appell für die intersektionale Revolution weltweit.

 
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