(Filmtank/Witfilm für ZDF/ARTE/NTR)
Grimme-Preis an:
Jialing Zhang (Buch/Regie)
Barbara Toennieshen (Montage)
Michael Grotenhoff (Produktion)
Erstausstrahlung: ARTE, Montag, 20. August 2024, 20.15 Uhr
Sendelänge: 90 Minuten
Inhalt:
Die Regisseurin Jialing Zhang begleitet in ihrem Film drei Frauen im Alltag während der Corona-Pandemie. Alle drei stehen in Opposition zum chinesischen System, das sie mit allen Mitteln digitaler Überwachung und von Big Data drangsaliert. Zijuan Chens Mann ist Anwalt. Weil er dem Regime im Weg ist, wurde er verhaftet. Jetzt wird ihm der Prozess gemacht, doch Zijuan Chen weiß anfangs nicht einmal, wo er im Gefängnis sitzt. Der gemeinsame achtjährige Sohn Tutu ist Teil der familiären Protestkampagne, sie laden Videos im Netz hoch, verfassen Petitionen und engagieren die ganze Familie. Die Schikane der Behörden lässt nicht lange auf sich warten. Als Zijuan Chen endlich Ort und Zeitpunkt des Prozesses gegen ihren Mann kennt, will sie ihm Blumen kaufen. Doch die digitale Einlasskontrolle am Blumenladen lehnt sie ab – angeblich ist sie infiziert. Auch als sie schließlich mit Tutu zum Prozess fährt, kommt sie trotz des digitalen Gesundheitsnachweises nicht durch: Angeblich kommt sie aus einem Infektionsgebiet.
Wenzu Li kann dagegen ihren Mann, den Anwalt Wang Quanzhang, endlich wieder in die Arme schließen. Er hat seine Haft gerade verbüßt und ist nach fünf Jahren wieder bei seiner Familie. Als er sein Kind in die Schule bringen will, steht vor der Tür eine Frau. Er darf nicht raus, sagt die Frau, wer sie sei, tue nichts zur Sache, aber sie werde den Gang zur Schule übernehmen. Als sich die Eltern weigern, werden sie weiter überwacht.
Die junge Journalistin Sophia Huang Xuequin hat den Fall begleitet, wurde verhört und komplett biometrisch erfasst. Jetzt erkennt die überall im Alltag installierte Überwachungstechnik Sophia schon an der Stimme, weiß, wann sie ihren Zyklus hat, schließt auch bei anonymen Artikeln durch deren „Stimmung“ auf die Autor*innenschaft.
Begründung:
Immer ganz nah an ihren Protagonist*innen erzählt Jialing Zhang die verstörende Geschichte des heutigen China. „Total Trust“ leuchtet die Abgründe des perfektionierten Datenstaates aus, der seine Bürger*innen von der Wiege bis zur Bahre umhegt, einhegt und überwacht. Wer hier aus dem Kollektiv ausschert, gar westlichen Ideen und Philosophien anhängt wie die beiden Anwaltsfamilien und die junge Journalistin Sophia, spürt die ganze (Über-)Macht des Regimes und der von ihm eingesetzten Technik. Trotzdem dagegen zu setzen, fordert Mut. Mut, den auch die anonymen Filmemacher*innen brauchten, die dieses eindrucksvolle Material gedreht und so „Total Trust“ erst möglich gemacht haben.
Ausführlich und mit Haltung zeigt der Film auch, dass andere sich mit dem System arrangiert haben und den Sozialkredit und seinen Einfluss auf alle noch so privaten Lebensbereiche akzeptieren und zum Teil sogar befürworten. Bürger*innen, die sich per Community App vernetzten und mit Big Data ihr Viertel sauber halten. Ganz im Wortsinn, indem sie Müll einsammeln, aber auch ideologisch. Diese ehrenamtliche Arbeit steigert den überall gemessenen Sozialkredit, der über die Position in der Gesellschaft entscheidet. Wer demonstriert oder anders aufmuckt, büßt dagegen massiv Punkte ein. Viele akzeptieren das – und sind zufrieden mit dem Regime: „Schau, Präsident Xi winkt uns zu“, sagt einer der Mülltruppe, als sie an einem Plakat des Staats- und Parteichefs vorbeigehen: „Welche Ehre. Er wacht über uns.“
Selten ist dieses System so umfassend und nachvollziehbar geschildert und vor allem bebildert erzählt worden. So wirft „Total Trust“ nebenbei und ohne Brechstange entscheidende philosophische Fragen nach dem Verhältnis von staatlicher Überwachung und Selbstkontrolle, von Staat und Individuum generell auf und überzeugt auch auf der emotionalen Ebene. Denn über die Kinder erschließt der Film zudem noch etwas über das Wesen der Diktatur, die auf bestimmten Ebenen durch Tadel und Belohnung selbst kindliche Züge trägt. „Total Trust“ ist ganz nebenbei auch eine sehr schöne Erzählung von weiblicher Leistung: Es sind nicht nur die Männer, die zwar als Anwälte Helden sind. Sondern die Frauen, die den Alltag allen Widrigkeiten zum Trotz am Laufen halten und so alles andere – inklusive dieses Film – erst ermöglichen.