(Network Movie Film- und Fernsehproduktion für ZDF)
Grimme-Preis an:
Zoe Magdalena (Buch/Darstellung)
Erstveröffentlichung: ZDFmediathek, Donnerstag, 28. November 2024, 10.00 Uhr
Sendelänge: 6 x 15 - 20 Minuten
Begründung:
Eine der häufigsten Erkrankungen unter Jugendlichen ist die Essstörung. Zoe Magdalena zerlegt sie im Drehbuch zu „Hungry“ in ihre ganz alltäglichen Bestandteile. Die 6-teilige Serie folgt Ronnie (Magdalena), die wegen Essensverweigerung in der Psychiatrie landet. Ist Ronnie erst fest entschlossen, der Klinik möglichst schnell zu entkommen, findet sie nach und nach Gründe zu bleiben: Freundschaft, Unterstützung, Liebe, Selbstliebe.
Die Jury Kinder + Jugend zeichnet Zoe Magdalena mit dem Spezialpreis aus, für die stimmige Kombination aus Drehbuch und spielerischer Umsetzung in der Hauptrolle „Ronnie“.
Es wäre naheliegend gewesen, gerade für die Poetry-Slammerin Zoe Magdalena, die Geschichte vorwiegend durch Text zu erzählen. Man stelle sich vor: eine Protagonistin, die zugleich Erzählerin ist, die selbstbewusst die Deutungshoheit über ihre Geschichte übernimmt, die ihr Innenleben in Form von beißenden Monologen ans Publikum richtet, „Fleabag“-haft die Gänge der Klinik entlangläuft und deklamiert. Zweifellos wären die Monologe unterhaltsam gewesen.
Zoe Magdalena hat sich jedoch für den womöglich schwierigeren Weg entschieden. Ronnie ist zu großen Teilen sprachlos, hat selbst keine Worte für das, was ihr passiert, was ihr fehlt, was sie braucht. Die Serie kommt mit erstaunlich wenig Text seitens ihrer Hauptfigur aus. Dennoch kommt Ronnie einem vom ersten Moment an nahe.
Die Geschichte ihrer Krankheit und ihrer Genesung wird statt anhand von Text vor allem anhand von Ronnies Reaktionen auf ihr Umfeld erzählt. Da werden die Erkrankten zu Mitstreiter*innen, Rival*innen, Projektionsfläche für ihre Ängste, Wut, Sehnsüchte. Da wird die Therapeutin mal zur Verbündeten, mal zur Gegenspielerin. Diese feinen Unterschiede übertragen sich durch Ronnies nuancierte Mimik im Zusammenspiel mit den anderen Figuren. Mal signalisiert sie in kaum merklichen Gesten Nähe oder Abneigung, mal verkörpert sie Wut, Verzweiflung, Herzlichkeit in lauteren Tönen, immer jedoch angemessen der Situation, die das Buch vorgibt.
Als Darstellerin stellt sich Zoe Magdalena auf überzeugende Weise der Herausforderung, die sie sich mit dem Drehbuch selbst gegeben hat: die Stille einer verschlossenen und wortkargen Figur schauspielerisch so zu füllen, dass sie von Anfang an als Identifikationsfigur zugänglich ist.
Zoe Magdalena versteht psychische Krankheit als etwas, das vor allem im Umgang mit anderen greifbar wird, und setzt deshalb die filmische Umsetzung bei den Figuren und ihren Beziehungsdynamiken an. Damit wird sie dem Thema in seinen Nuancen gerecht.
Ronnie ist jederzeit als individueller Mensch lesbar, ist niemals bloß Verkörperung einer Störung. Die Störung selbst wird derweil so dargestellt, dass sie ihren Schrecken verliert, nicht aber ihre Größe, und damit für Nicht-Erkrankte nachvollziehbar wird: So stellt beispielsweise ein Teller Kartoffelsalat für die essgestörte Ronnie eine Aufgabe dar, die einerseits machbar erscheint, andererseits unmöglich für sie ist. Auch dass Heilung hier als lebenslang unabgeschlossener Prozess begriffen wird, möchte die Jury als vorbildhaft herausstellen, denn dies spiegelt die Realität von psychischen Erkrankungen wider.
Insgesamt befindet die Jury die Hauptfigur Ronnie aus „Hungry“ als wegweisend für Protagonist*innen mit psychischen Erkrankungen im Jugendprogramm.