Adolf-Grimme-Preis an:
Thomas Irmer (Buch/Regie)
Matthias Schmidt (Buch/Regie)
Redaktion: Bettina Petry
Produktion: CV Filmproduktion, Berlin
Buch: Thomas Irmer
Regie: Matthias Schmidt
Kamera: Heiko Merten, Erik Krambeck
Sprecher: Katharina Thalbach, Ulrich Mühe
Sendelänge: 2 x 45 Min.
Erstausstrahlung: 08. und 09.06.2003, jeweils 19.15 h (3sat)
Inhalt
Die Geschichte der ehemaligen DDR ist Gegenstand vielfältiger Berichterstattung und fiktionaler Aufarbeitung. Dabei stehen überwiegend Politik, Gesellschaft und zunehmend auch der Alltag im Vordergrund, um die sozialistische Hälfte des geteilten Deutschlands zu charakterisieren.
Matthias Schmidt und Thomas Irmer eröffnen durch ihre "Bühnenrepublik" eine andere Perspektive, indem sie das oft hoch gerühmte Kulturerbe der DDR näher beleuchten: Das Theater, das in der DDR immer Raum der Zurschaustellung war - wie auch heimliches Parlament. Die Entwicklung des Bühnentheaters seit der Entstehung der DDR bis hin zu ihrem Zerfall dokumentiert den immerwährenden Konflikt zwischen freier, unkontrollierbarer Kunst und dem System des Überwachungsstaates. So waren die Regisseure geachtet und gefürchtet zugleich, überwacht und nicht selten verboten und gestraft, wie z.B. Bernhard Klaus Tragelehn, dem nach einer Inszenierung von Heiner Müllers "Die Umsiedlerin" Zwangsarbeit in der Produktion auferlegt wurde.
Es gab aber auch das: Eine Bewegung der Laienschauspielerei und durchgängig niedrige Eintrittspreise. Sie ermöglichte jedermann Zugang zu den Bühnen, die von Anklam bis Zittau die ehemalige DDR zierten.
Durch zahlreiche Interviews mit Akteuren und Beobachtern des damaligen Theaters bieten Thomas Irmer und Matthias Schmidt dem Zuschauer in ihrem chronologisch aufgebauten Zweiteiler nicht nur Theater-, sondern auch eine Sozial- und Zeitgeschichte.
Begründung der Jury
Der Titel gibt einen Interpretationsspielraum vor, den die beiden Beiträge dann auch einlösen: Die Bühnenrepublik verweist auf das dichte Bühnennetz in der DDR, Theater in der DDR fand aber nicht nur auf diesen Bühnen statt und nicht alles an Theater, was auf diesen Bühnen stattfand, entsprach den Vorstellungen der Machthaber von einem sozialistischen Theater! Die gewollte wie auch die ungewollte Theatralik der Präsentation von Macht in der DDR wurde ebenso thematisiert, präziser: visualisiert, wie das durchaus ambivalente Verhältnis der damaligen Akteure zur Macht: Nutznießer der Alimentationen des Systems zu sein und es gleichzeitig kritisieren zu wollen. Dieser politische und künstlerische Spagat ist in beiden Teilen immer präsent, ohne diffamierend und besserwisserisch zu wirken.
Mehr als vier Jahrzehnte Theaterentwicklung, die stattgefunden hat auf 213 Bühnen in über 80 Städten der DDR in 87 Minuten Sendezeit: Das verlangt Selektion, Konzentration und Interpretation. Die Autoren haben die Materialfülle bewältigt, indem sie sich auf wesentliche und dem theaterinteressierten Fernsehzuschauer von heute nachvollziehbare Entwicklungen konzentrierten (und damit die Vernachlässigung anderer Entwicklungen billigend in Kauf nahmen, wie z.B. die für die ästhetische Erziehung wichtige Arbeit der Kinder- und Jugendtheater; die Bedeutung der Provinztheater als regionale Kulturfaktoren oder die der Schauspielschulen als Hort der Anpassung und des Protests). Die Inszenierungen von Macht und von "Volksnähe" durch die Partei- und Staatsführung werden ebenso dargestellt (das Skat spielende Politbüro im Flugzeug oder die Bilder von der 750-Jahrfeier Berlins) wie die "Sorgen um die (theatralische Deutungs-) Macht" zwischen verschiedenen Berliner Theatern.
Im ersten Teil werden ausgewählte Entwicklungen in der Theaterlandschaft der Ostzone und der DDR am Beispiel interessanter Dokumente und retrospektiver Interviews dargestellt. Bemerkenswert der Informationsgehalt und die teilweise Lakonie der Kommentare, die sicher nicht unwesentlich von der intimen Theaterkenntnis der Sprecher Katharina Thalbach und Ulrich Mühe geprägt wurden.
Der Film kann und will nicht alles erklären und auch nicht alles klären, was er an Bild- und Tonfakten anbietet. Wenn der Regisseur B. K. Tragelehn im Zusammenhang mit der Aufführung des Stückes "Die Umsiedlerin" lachend von den "Bautzener Gefängnisfestspielen" spricht, dann hätten zwar ein paar Zusatzinformationen dem heutigen Zuschauer bei der Einordnung dieses Sachverhalts geholfen, die Haltung dieses und anderer Regisseure und Schauspieler aber nicht erklären können, trotz solch existentieller Restriktionen weiter Theater in der DDR machen zu wollen.
Der zweite Teil wirkt konzentrierter und pointierter als der erste und fällt außerdem durch sehr schöne Montagen auf. Inwieweit diese größere Nähe zum Gegenstand dem Alter der Autoren und auch der größeren Attraktivität des gefundenen Materials geschuldet ist, kann hier nur vermutet werden.
Aber auch im zweiten Teil kann nicht alles geklärt und erklärt werden, bleibt Wehmut über den Verlust von Theatern und seinen spezifischen Funktionen im wieder vereinigten Deutschland spürbar. Bleibt die Hoffnung auf weitere Beiträge zu diesem Thema...