Adolf-Grimme-Preis mit Gold an
Hans Steinbichler (Buch/Regie)
Bella Halben (Kamera)
Johanna Wokalek (Darstellung)
Barbara Sukowa (Darstellung)
Josef Bierbichler (Darstellung)
Peter Simonischek (Darstellung)
Stab
Redaktion: Benigna von Keyserlingk, Claudia Gladziejewski, Gabriela Sperl (BR), Sabine Holtgreve (SWR), Georg Steinert (ARTE)
Buch / Regie: Hans Steinbichler (Preisträger)
Kamera: Bella Halben
Schnitt: Christian Lonk
Darsteller: Johanna Wokalek (Preisträgerin), Barbara Sukowa (Preisträgerin), Josef Bierbichler (Preisträger) und Peter Simonischek (Preisträger) u.a.
Produktion: AVISTA FILM / ARRI / Brainpool / HFF München
Sendelänge: 90 Min.
Erstausstrahlung: Freitag, 15.4.2005, 20.40 h
Inhaltsangabe
Zum 60. Geburtstag ihres Vaters Lukas kehrt Lene nach Hierankl zurück, einem abgelegenen Gehöft in den Bergen - Ort ihrer Kindheit, den sie mit 17 verließ, um in Berlin ein neues Leben zu führen. Die alten Wunden reißen wieder auf: die Verletzungen, die ihr die Mutter zugefügt hat, das Schweigen ihrer Familie, die Lügen und Geheimnisse. Der Vater hat eine junge Geliebte, die Mutter ein Verhältnis mit Vinzenz, einem Freund ihres Sohnes Paul. Der wiederum hat in Vinzenz möglicherweise mehr gesehen als nur einen Kumpel aus Jugendtagen. Und dann taucht auch noch Götz auf, ein alter Freund der Eltern, der 30 Jahre lang nichts von sich hören ließ. Lene fühlt sich von dem geheimnisvollen älteren Mann angezogen. Die zwei treffen sich im so genannten Zauberwald von Lenes Kindheit, spüren ihre Verbundenheit, fühlen sich in der schroffen und unwirtlichen Landschaft Hierankls zu Hause und gleichzeitig sehr fremd.
Lene und Götz stürzen sich in eine leidenschaftliche Affäre, die am Ende auf dramatische Weise dafür sorgen wird, dass das Chaos aus Unausgesprochenem und Verbotenem so etwas wie eine Ordnung erfährt. "Alles verändert sich, nur du nicht!" wirft Lukas seinem Sohn Paul vor. Der kontert: "Das klingt wie in einem Heimatfilm!" Lukas antwortet: "Das ist ein Heimatfilm, Paul!" Hans Steinbichlers Debütfilm ist aber mehr und etwas ganz eigenes: eine ungewöhnliche Mischung aus Heimatfilm und antiker Tragödie, welche in die Abgründe menschlichen Handelns und Fühlens blicken lässt.
Begründung der Jury
"Hierankl" ist ein Heimatfilm. Eine junge Frau - die wunderbare Johanna Wokalek spielt sie - macht sich mehr zufällig denn gezielt auf die Suche nach der Heimat ihrer Jugend. So idyllisch dies auch ins Bild gesetzt wird: Für Hans Steinbichler, den Autor und Regisseur, ist dies nur die trügerisch schöne, nur auf den ersten Blick heile Folie für eine schmerzhafte Desillusionierung. "Hierankl" erzählt vom Erinnern, von der sinnlichen Vergegenwärtigung der Kindheit, von den Geheimnissen, Erwartungen und dauerhaften Verletzungen dieser Zeit. Es ist ein Film über die Familie, die keine Heimat, kein Zu-Hause mehr bietet, weil alle Bindungen verräterisch gebrochen und alle Hoffnungen und Wünsche begraben sind unter Lug und Verrat - geduldet und hingenommen.
So führt "Hierankl", dieser erstaunliche Erstlingsfilm (Steinbichlers Abschlussarbeit an der Münchner Film- und Fernsehhochschule), so kühn wie selbstverständlich zu jenem Moment, da - noch - alles möglich erscheint und doch alles zum Stillstand gekommen ist: eine unauflösliche Verschränkung von Illusion und Tod. Steinbichler erzählt von den verstörenden, verstörten Gefühlen mit schonungsloser Liebe zu seinen Figuren, er folgt Lenes Entschlüsselung der Irrungen und Wirrungen wie einem Experiment, treibt so seine Geschichte in einen hoch emotionalen, dramatischen Konflikt. "Hierankl" ist ein Film über eine unbehauste, sich selbst fremd gewordene Gesellschaft. Und auch ein Film über die Kunst und das Leben: Mit Verweisen und Zitaten stellt Hans Steinbichler seine Geschichte in einen spannenden Kontext zur kulturellen Tradition (im Bogen von Goethes Wahlverwandtschaften bis zu Rilke-Empfindsamkeiten). "Hierankl" ist, und dies nicht zuletzt, ein Film für großartige Schauspieler: Barbara Sukowa, Peter Simonischek, Josef Bierbichler und die berührend starke, stark berührende Johanna Wokalek. Er ist damit ein Film, so hat der Kritiker Michael Althen geschrieben, der in den Gesichtern seiner Schauspieler jene Heimat finde, die sonst nur das Herz ist.