Das Mercedes-Benz Förderstipendium wird vergeben an
Thomas Durchschlag (Buch/Regie)
Stab
Produktion: Lichtblick Film- und Fernsehproduktion, Joachim Ortmanns
Buch/Regie: Thomas Durchschlag
Kamera: Michael Wiesweg
Schnitt: Ingo Ehrlich
Darsteller: Lavinia Wilson, Maximilian Brückner, Victoria Mayer, Richy Müller
Redaktion: Michael André
Erstausstrahlung: Donnerstag, 17.8.2006, 22.45 h
Sendelänge: 85 Min.
Inhaltsangabe
Ihr größter Feind ist das Alleinsein – die junge Studentin Maria sehnt sich nach Nähe und flieht vor der vermeintlichen Einsamkeit in eine Welt aus Sex, Tabletten und Alkohol. Sie hat eine Affäre mit dem deutlich älteren Wolfgang und reißt nebenbei in der Disko immer wieder andere Männer auf, um sie nach einem One-Night-Stand sofort wieder zu vergessen. Ihrer Freundin, die sie wegen dieses Lebenswandels mehrfach zur Rede stellt, wirft sie vor, sie würde ihr diesen Spaß nicht gönnen.
Dieser „Spaß“ hinterlässt bei Maria tatsächlich aber nur ein immer größer werdendes Gefühl der Leere, das sie mit Drogen zu kompensieren versucht. Sie fügt sich selbst Verletzungen mit Rasierklingen zu und versinkt in einem Zustand der körperlichen Taubheit. Bei ihrer Arbeit in der Bibliothek lernt Maria dann Jan kennen. Mit dem Studenten ist es plötzlich anders: er ist nicht an schnellem Sex interessiert, weist Marias eindeutige Annäherungsversuche beim ersten Date sogar zurück
Jan will mehr von Maria, die erkennt, dass sich ihr hier die Chance für eine wirkliche Liebesbeziehung bietet. Doch sie kann nicht aus ihrer Haut: die Exzesse gehen weiter. Um Jan nicht zu verlieren, verbirgt sie ihre Lebensweise vor ihm. Sie unternimmt nach und nach Versuche, ihr Innerstes aufzuräumen und beendet sogar ihre Affäre mit Wolfgang; aber immer wieder bricht ihr Krankheitsbild durch. Sie macht Jan aus heiterem Himmel Szenen, reißt ihn an sich und stößt ihn im nächsten Moment wieder weg. So zerstört sie nicht nur Jans Liebe, sondern beinahe auch ihr eigenes Leben.
Begründung der Jury
Maria ist eine Studentin, Mitte zwanzig, mit augenscheinlichen Beziehungs- und Kommunikationsproblemen. Sie hat beständigen, ziemlich robusten Sex mit einem älteren Liebhaber, sucht sich dazu den einen oder anderen One-Night-Stand; und mit der zart und schüchtern keimenden Liebe eines Kommilitonen weiß sie nicht recht etwas anzufangen. Dazu kommen Alkohol-Exzesse, Selbstverletzungen und Schwierigkeiten im Job – das klingt nach einer ziemlich schematischen Fallstudie mit impliziter Diagnose und betroffenem Kopfschütteln.
Aber Thomas Durchschlag hat aus diesem psychomedizinischen Befund einen Film gemacht, der in und mit Bildern argumentiert, der zeigt, dass filmische Wahrheit vor allem die Wahrhaftigkeit von Körpern und Blicken ist. Daher ist „Allein“ vor allem auch der Film von Lavinia Wilson, die in jeder Einstellung ihre Gefährdung spürbar macht, ihren Körper als Tauschmittel nutzt, sich verständnislos selbst zuzusehen scheint bei dem, was sie sich und den anderen zumutet und antut. Der Film muss und will nichts erklären oder behaupten: Er zeigt, wie konsequent ein Weg in Einsamkeit, Isolation und Verlorenheit führen kann.
Durchschlags hervorragenden Schauspielerführung
Lavinia Wilson kann ihre unglaubliche schauspielerische Gegenwärtigkeit vor allem deswegen ausspielen, weil sie brillante Antagonisten hat. Richy Müller gibt den älteren Liebhaber, der Maria aushält, ausnutzt und doch versteht, mit Lakonie und mildem Machismo. Maximilian Brückner ist als verliebter Student von präziser Verhaltenheit und jungenhaftem Ernst. Beide interagieren mit nuancierter Selbstverständlichkeit in dieser Choreographie der Gesten, Näherungen und Verweigerungen.
Nicht nur in der Führung der Schauspieler, in den wohlüberlegten Kameraeinstellungen und in den sorgfältigen Arrangements seiner szenischen Tableaus beweist Durchschlag Stil und Talent: Er schafft es auch, seinen Film erkennbar im Ruhrgebiet spielen zu lassen, ohne irgendeines der Pott-Klischees bemühen zu müssen. Die Locations in Essen und Bottrop sind zugleich konkrete Topographie wie Orte der Seelenlandschaft.
Voller Zustimmung und Überzeugung vergibt die Jury daher das diesjährige Mercedes-Benz-Förderstipendium an Thomas Durchschlag für den Film „Allein“. Sie versteht diese Auszeichnung als anerkennende Ermunterung, diesem Erstlingsfilm weitere Arbeiten solch sinnlicher Eleganz folgen zu lassen.