43. Grimme-Preis 2007

Türkisch für Anfänger (ARD/BR/NDR)

Adolf-Grimme-Preis an

Bora Dagtekin (Headwriter)

Edzard Onneken und Oliver Schmitz (Regie)

Josefine Preuß (stellv. für das Darstellerteam)

Stab

Produktion: Hofmann & Voges, Philip Voges & Mischa Hofmann

Executive Producers: Bettina Reitz (BR), Bernhard Gleim (NDR)

Redaktion: Caren Toennissen

Konzept/Headwriter: Bora Dagtekin

Regie: Edzard Onneken und Oliver Schmitz

Kamera: Robert Vogel

Schnitt: Eva Lopez Echegoyen

Darsteller: Pegah Ferydon, Adnan Maral, Elyas M'Barek, Josefine Preuß u.a.

Redaktion: Bettina Reitz (BR), Bernhard Gleim (NDR)

Erstausstrahlung: ab 14.3.2006, Dienstag-Freitag, 18.50 h

Sendelänge: 45 Min.

Inhaltsangabe

Eigentlich hätte Mutter Doris sich auch gleich in einen Außerirdischen verlieben können. Für Tochter Lena wäre es auf dasselbe hinausgelaufen. Nun ist der neue Papa in spe ein Türke namens Metin und bringt auch noch zwei eigene Kinder mit. Für die 16-jährige bedeutet die spontane Familienzusammenführung die Hölle auf Erden. Ihr Leid klagt sie per Videotagebuch ihrer besten Freundin Kathi, die gerade dann, wenn Lena sie am dringendsten braucht, auf Austauschreise in den USA weilt. Immerhin muss Lena ihr Zimmer jetzt mit ihrer neuen „Schwester“ Yagmur teilen, die streng gläubig ist, islamische Werte hochhält und sich morgens zum Frühgebet von einem Moscheenwecker wach brüllen lässt. Stiefbruder Cem spielt derweil den Macho, wie es von einem echten Türkenjungen erwartet wird: „Wir Türken sind wie eine Medaille – auf der einen Seite cool und auf der anderen noch cooler…“

Dass er für Lena nach und nach mehr als nur geschwisterliche Gefühle entwickelt, würde er nie im Leben öffentlich zugeben. Stattdessen mimt er den stellvertretenden Familienpatriarchen und rasselt mit Lena immer wieder übel zusammen. Lena ihrerseits wünscht sich nichts mehr, als die türkische Sippe so schnell wie möglich wieder loszuwerden und lässt keine Gelegenheit aus, ihre neuen Familienmitglieder zu brüskieren. Da muss sie sich von Yagmur auch schon mal als „Nazi“ beschimpfen lassen: „Ihr Deutsche denkt immer, ihr seid die besseren Menschen!“

Begründung der Jury

Neue Kategorien stellen immer Chance und Risiko dar: Chance, weil eine Jury ausgetretene Pfade verlassen und Neuland betreten kann; Risiko, weil sie Präzedenzfälle schafft. „Türkisch für Anfänger“ ist so ein Präzedenzfall. Die Serie ist ein Kleinod, darüber bestand Konsens. Doch streng genommen hätte sie in die Kategorie „Fiktion“ gehört, wo sie im Vergleich mit der Fernsehfilmkonkurrenz aber womöglich den Kürzeren gezogen hätte. Wäre die Jury einer ersten Definition des Begriffs Unterhaltung („… ist immer non-fiktional“) sklavisch treu geblieben, hätte „Türkisch für Anfänger“ keinen Preis bekommen.

Dabei steht die Qualität außer Frage. Nachdem sich die Jury darauf einigen konnte, das Genre „Sitcom“ als Teil der Unterhaltung zu akzeptieren, war der Weg frei. Und es ist fast eine Laune des Schicksals, dass die Vergabe dieser Auszeichnung mitten in die neue Staffel fällt. Dabei war die Fortsetzung angesichts der eher schwachen Quoten für die ARD alles andere als selbstverständlich: „Türkisch für Anfänger“ ist derart keck, witzig und politisch unkorrekt, dass die Serie unmöglich auch noch Erfolg haben konnte. Umso respektabler ist die Entscheidung, sie fortzuführen. Und umso wichtiger: die zwölf Folgen beginnen zwar mit dem unversöhnlichen Zusammenprall zweier Kulturen, erzählen dann aber von Annäherung und Versöhnung. 
„Türkisch für Anfänger“ ist von seltener Qualität, weil die Serie Humor und Tempo auf hohem Niveau durchhält. Neben der Regie gebührt das größte Lob dem deutsch-türkischen Autor Bora Dagtekin: Es ist ihm gelungen, die Gefahren des potenziell überaus ballastreichen und entsprechend schweren Themas leichtfüßig zu umgehen und dabei die Botschaft trotzdem nicht bis zur Unkenntlichkeit zu verbergen. Es imponiert vor allem die Zeichnung der Figuren: obwohl die Geschichten aus dem Blickwinkel der jungen Lena (Josefine Preuß) erzählt werden, die ihren Patchwork-Geschwistern mit herzlicher Abneigung begegnet, bleiben die Figuren nicht eindimensional. Alle haben ihre Brüche; selbst Chauvi-Bruder Cem (Elyas M’Barek) hat seine liebenswerten Seiten. Etwas zu kurz kommen allenfalls die Eltern (Anna Stieblich, Adnan Maral), doch die Handlung zeigt ja auch in erster Linie die Perspektive der Jugendlichen.

Wie gut die Serie ihrer impliziten Aufgabe, der Integration, gerecht wird, belegen die äußerst positiven Reaktionen aus der türkischen Community. Dort störte man sich keineswegs daran, dass Yagmur (Pega Ferydoni), die Dritte im Bunde, als überzeugte Muslimin immer wieder zur Zielscheibe von Lenas Bosheiten wird.  „Türkisch für Anfänger“ ist ein Glücksfall und der Preis für die ARD hoffentlich ein Ansporn, am Vorabend auch weiter auf Qualität zu setzen. 

 
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