44. Grimme-Preis 2008

Guten Morgen, Herr Grothe (ARD/WDR)

Adolf-Grimme-Preis an

Beate Langmaack (Buch)

Lars Kraume (Regie)

Sebastian Blomberg und Ludwig Trepte (Darstellung)

Nessie Nesslauer (Casting)

Stab

Produktion: Allmedia Pictures, Heike Richter-Karst

Buch: Beate Langmaack

Regie: Lars Kraume

Kamera: Jens Harant

Schnitt: Barbara Gies

Darsteller: Sebastian Blomberg, Nina Kunzendorf, Ludwig Trepte, Jacob Lemberg u.a.

Redaktion: Barbara Buhl (WDR)

Erstausstrahlung: Mittwoch, 2.5.2007, 20.15 h

Sendelänge: 90 Min.

Inhaltsangabe

Foto: WDR/Dirk Plamböck„Läufst du mit? Du gibst das Tempo vor...“ Michael Grothe dreht nach Schulschluss auf dem Sportplatz einer Berliner Haupt- und Realschule seine Runden. Sein Angebot richtet sich an Nico, einen der schwierigsten Schüler des engagierten Deutschlehrers, aber hierbei geht es bei weitem nicht nur um den Sport. Er will Nico motivieren, sich selbst zu fordern, zu lernen und Eigenverantwortung zu übernehmen. Auch wenn Nico sich gerne King nennen lässt, ist er alles andere als ein König. Frustriert und ohne Lebensperspektive ist er aggressiv und stört den Unterricht. So ähnlich wie ihm geht es vielen Jugendlichen aus der Klasse, die aus sozial schwachen, häufig ausländischen Familien stammen. Michael Grothe kniet sich bis zur Selbstaufgabe in seine Arbeit als Pädagoge. Seine Ehe ist durch dieses Engagement längst gescheitert, sein Sohn lebt bei der Mutter und auch die Beziehung zu seiner Kollegin Lisa steht auf der Kippe. Lisa sieht die Schüler als hoffnungslose Fälle, die niemand in den Griff bekommen kann. Grothe will sich damit nicht zufrieden geben:

„Schulverweis? Polizei? Weg damit?“ – das kann für ihn nicht die Lösung sein. Er bringt die Schüler dazu, über ihr Leben nachzudenken und ihre Träume und Hoffnungen in Worte zu fassen. So gelingt es ihm nach und nach, den Respekt und das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen. Nico jedoch bleibt ein Problemschüler, dem Grothe so viel Zeit und Herzblut widmet, dass er darüber die Verantwortung für sein eigenes Leben fast vergisst...

Begründung der Jury

Dieser Lehrer ist kein Held. Nach zehn Berufsjahren hat Herr Grothe eigentlich längst resigniert. Und dass er sich dann doch so intensiv um den ganz besonders verhaltensauffälligen Nico in seiner fast nur aus verhaltensauffälligen Jugendlichen bestehenden Klasse kümmert, ist auch kein uneigennütziges Engagement: Grothe will sich und seiner Kollegin beweisen, was für ein guter Lehrer er doch ist. Der Junge scheint oft nur Mittel zum Zweck, und über diese Hilfe vernachlässigt Grothe dann sogar noch den Rest der Klasse und seinen eigenen Sohn. Am Ende ist er in vielfacher Hinsicht gescheitert – und doch ist nicht alles wie am Anfang. Seine Schüler haben gelernt, einander wahrzunehmen und sich um andere zu kümmern, wenigstens ein bisschen, für einen Augenblick.

„Guten Morgen, Herr Grothe" ist ein leiser Film zu einer lauten Debatte, kein verfilmtes Thesenpapier und keine melodramatische Anklage. Er meidet schlichte Botschaften und Klischees, er denunziert seine Protagonisten nicht. Dieser Nico hat weder einen Migrationshintergrund noch kommt er aus einem Hartz-IV-Haushalt; die soziale Verwahrlosung in seiner Familie ist nicht plakativ, aber fundamental. Weil der Film keine billigen Antworten liefert, ist es umso schwerer, sich den Fragen, die er aufwirft, zu entziehen. Er ist nicht gut gemeint, sondern gut gemacht. Es ist ein außerordentlich intensiver, genauer Film, der nicht überhöht, sondern einen Ausschnitt aus unserer Welt zeigt, der vermutlich typisch und realistisch ist.

Das Buch von Beate Langmaack romantisiert nicht die Situation an den deutschen Hauptschulen und die Möglichkeiten, durch persönliches Engagement etwas zu verbessern. Es weckt keine falschen Hoffnungen, belässt es aber auch nicht bei völliger Hoffnungslosigkeit. Die Regie von Lars Kraume nimmt die Zuschauer mit in den Klassenraum und macht es uns unmöglich, die Probleme dort als die anderer Leute, anderer Milieus abzutun. Und so unerträglich die Schüler in dieser Situation sind, so sind es doch keine Monster.

Nessie Nesslauer hat es geschafft, junge Laienschauspieler zu casten, die den Jugendlichen eine erstaunliche Echtheit und menschliche Tiefe geben. Und mittendrin spielen Sebastian Blomberg als Lehrer und Ludwig Trepte als Schüler bestechend genau die innere Zerrissenheit dieser beiden Figuren, ihr Schwanken zwischen Hoffnung und Resignation, zwischen Überforderung und Anspruchslosigkeit.

 
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