Nikolaus Geyrhalter (Buch/Regie/Kamera)
Wolfgang Widerhofer (Buch/Schnitt/Dramaturgie)
Stab
Produktion: Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion, Nikolaus Geyrhalter, Markus Glaser, Michael Kitzberger und Wolfgang Widerhofer
Buch: Wolfgang Widerhofer, Nikolaus Geyrhalter
Regie/Kamera: Nikolaus Geyrhalter
Schnitt/Dramaturgie: Wolfgang Widerhofer
Redaktion: Inge Classen (ZDF/3sat)
Erstausstrahlung: Sonntag, 4.11.2007, 21.15 h
Sendelänge: 90 Min.
Inhaltsangabe
Ein Rollwagen mit Plastikkisten wird durch einen Gang geschoben – in den Kisten lebende, frisch geschlüpfte Küken. Das Ziel ist eine Fabrikhalle, wo Frauen die Lieferung sortieren: die Schalen kommen in den Müll, die Küken in einen Trichter, der auf ein Fließband führt. Von hier aus geht ihre Reise weiter... Männer in Schutzanzügen und Gasmasken fahren auf kleinen Wagen durch endlos wirkende Reihen von Paprika- und Tomatenpflanzen, besprühen sie mit Dünger und Pflanzenschutzmitteln in einem Gewächshaus – so gigantisch, dass es bei Nacht von innen beleuchtet beinahe an eine Raumstation erinnert... Eine Kuh wird in eine überdimensionale Röhre geführt und getötet, die Röhre dreht sich und kippt das tote Tier zur Seite aus. An Ketten wird die Kuh an den Hinterbeinen hoch gezogen, ein Schnitt und sie blutet aus. Hängend wird sie weiter transportiert, die Haut entfernt. Eine riesige Kettensäge zerteilt sie... „Unser täglich Brot“ zeigt, wie die moderne Lebensmittelproduktion funktioniert, nämlich vorwiegend maschinell. Sogar die Menschen, die bei ihrer Arbeit gezeigt werden, funktionieren nahezu wie Maschinen. Sie erledigen ihren Job, oft schweigend mit tausendfach wiederholten Handgriffen. Der Film setzt allein auf die Kraft seiner surreal anmutenden Bilder. Einen Kommentar gibt es ebenso wenig wie erläuternde Interviews. Eine Amsterdamer Jury befand über den mehrfach preisgekrönten Film, dass er nicht sagt, was wir denken sollen, aber viel Nahrung zum Nachdenken gebe...
Begründung der Jury
Ein Dokumentarfilm über die globalisierte, automatisierte, mechanisierte Produktion unserer Nahrungsmittel, ein Film ohne Kommentar, ohne Expertenmeinung, ohne empörte Betroffenheit, ohne raunendes Entsetzen – geht das? Ja, das geht – wenn man wie Nikolaus Geyrhalter in seinem Werk „Unser täglich Brot“ auf die elementare Essenz des Filmes setzt: die Bilder.
Was Geyrhalter zeigt, sind Tableaus jener Orte, an denen das produziert, geerntet oder getötet wird, was täglich auf unseren Tellern landet: Tomaten, Paprika, Lachs, Hähnchen, Schwein, Rind. Es sind Orte höchster Effektivität und Rationalität, die von ingeniösen Maschinen getaktet werden. Aus lebender Natur wird Ware. Und wo diese Ware produziert wird, ist ohne Belang. Daher werden diese Orte nicht zugeordnet oder benannt, werden keine Fakten aufgetischt, keine mildernden Erläuterungen eingestreut. So etwas sind wir im handelsüblichen Fernsehen nicht mehr gewohnt, genauer: Wir sind dessen entwöhnt worden. Und mit einer Mischung aus Schrecken und Faszination sehen wir, welche Wirkungsmacht diese Bilder haben. Es sind Bilder, die sich durch eine sorgfältige Kadrage, durch die subtile Montage und Dramaturgie von Wolfgang Widerhofer einbrennen.
Der Film sagt uns nicht, was wir denken sollen, aber er gibt uns viel zu denken und nachzudenken. Zu loben ist daher nicht nur die dokumentarische Kunst von Nikolaus Geyrhalter, sondern auch der Mut des Senders und der Redaktion, diesen Film unterstützt und den Zuschauern zugemutet zu haben. Denn „Unser täglich Brot“ ist eine Zumutung: Wir werden angehalten, die industrielle Nahrungsmittelproduktion als Spiegelbild unserer gesellschaftlichen Konsumption zu sehen: viel, einfach, schnell, billig. Und wir werden konfrontiert mit unserer kollektiven Bigotterie: „Sie wollen das Kalb essen, das Blut nicht sehen“ (Brecht). Dies alles geschieht mit den Mitteln des Films, mit nachhaltig beeindruckenden Bildern, durch Anschauung statt Belehrung, durch rhythmisch klare Erzählung statt des Stakkatos sich übertrumpfender Spektakel.
Der Film lässt einen nicht los. Wir haben zu lernen, dass wir Teil seiner fatalen Logik sind. Das Gebet sagt: „Unser täglich Brot“ gib uns heute. Aber: Wer vergibt uns unsere Schuld?