Adolf-Grimme-Preis an
Christian Beetz (Buch/Regie)
Stab
Produktion: gebrueder beetz filmproduktion
Buch: Christian Beetz
Regie: Christian Beetz
Kamera: Matthias Schellenberg, Stefan Grandinetti, Jörg Jeshel
Schnitt: Lars Späth
Redaktion: Kurt Schneider (SWR), Simone Emmelius (ZDFdokukanal)
Erstausstrahlung: Donnerstag, 29.11.2007, 23.45 h
Sendelänge: 75 Min.
Inhaltsangabe
„Mein Feld ist die Welt“, hat Josef-Heinrich Griebing gesagt. Er erfand einen Kalender, der die Zeit über Jahrhunderte berechnete. In zahllosen Aufzeichnungen schuf er überdies ein gigantisches Handelsimperium mit weltweiten Niederlassungen für all seine Familienmitglieder. Rund 40 Jahre verbrachte er in Anstalten, nicht begreifend, warum er hier sitzen musste. Er ist einer der psychisch kranken Künstler der „Sammlung Prinzhorn“, die seit 2001 in einem ehemaligen Hörsaal in Heidelberg untergebracht sind. Mehr als 5000 Werke von rund 500 Patienten hat der Arzt und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zusammengetragen. Selbst depressiv und auf der Suche nach Anerkennung war Prinzhorn seiner Zeit voraus. Heute genießen die Zeichnungen und Skulpturen, die Psychiatriepatienten geschaffen haben, weltweite Bedeutung. Sie übten nachhaltigen Einfluss auf die heutige therapeutische Praxis, aber auch auf die Kunst der Moderne und Gegenwart aus. Damals vegetierten die Schöpfer dieser Werke in Anstalten vor sich hin. Ihre Werke wurden später von den Nationalsozialisten als „entartet“ abgestempelt, die Künstler selbst als „lebensunwert“ planmäßig ermordet. Der Film erzählt die Geschichte der „Sammlung Prinzhorn“, ihrer Künstler und gewährt Einblicke in den Kunst-Kosmos auch psychisch Kranker von heute.
Begründung der Marler Gruppe
Zwischen Genie und Wahnsinn liegt nur ein schmaler Grat, aber gleichzeitig auch ein weites Spektrum menschlicher Existenz. In der Dokumentation „Zwischen Wahnsinn und Kunst“ von Christian Beetz wird dies dem Zuschauer auf ganz besonders vielfältige Weise verdeutlicht.
Hans Prinzhorn – Musiker, Philosoph, Kunsthistoriker und Mediziner – entdeckt bei der Katalogisierung von Zeichnungen und Werken psychisch kranker Anstaltsinsassen ein unglaubliches Potential „geisteskranker Kunst“. Die künstlerische Tätigkeit blieb den Weggeschlossenen häufig als einzige Flucht aus der traurigen Realität der Anstalten. Prinzhorn ist fasziniert von der künstlerischen Ausdruckskraft einiger Arbeiten und trägt eine umfassende Sammlung dieser Werke aus vielen Anstalten zusammen. In seinem Buch „Bildnerei der Geisteskranken“ – auch als „Bibel der Surrealisten“ bekannt – beschreibt er zehn ausgewählte „Künstler“, ihre Schicksale und ihre Werke.
Der Sammler Hans Prinzhorn, dessen Biographie verbindendes Element des Dokumentarfilms ist, wird selbst zum Grenzgänger zwischen den Welten, stets auf der Suche nach Anerkennung für seine Arbeit.
Ebenso akribisch wie Prinzhorn sammelt auch Christian Beetz umfangreiches Material zum Thema Wahnsinn und Kunst und setzt es in Bezug zu seiner Entstehung. Das zeitliche Spektrum umfasst dabei annähernd das gesamte 20. Jahrhundert. Beetz zeigt, dass der Fortschritt der industrialisierten Welt Auswirkungen auf die Psyche der Menschen hat und dem Krankheitsbild Wahn neue Facetten zufügt. Am Beispiel eines Propagandafilms schildert er zudem den Umgang mit den vermeintlich Schwach- und Wahnsinnigen im Dritten Reich.
Der Film überzeugt nicht nur inhaltlich, auch konzeptionell arbeitet Christian Beetz außerordentlich sorgfältig. Das gut recherchierte Material wird in traditioneller Weise aufgearbeitet, wirkt jedoch in seiner Gesamtpräsentation absolut herausragend.
Besonders zu loben ist die Wahl der Erzählerin, die mit ihrer sanften und eindringlichen Stimme sowie der einfühlsamen Erzählweise, den Zuschauer in seinen Bann zieht.
Der Autor bietet ein Gesamtbild der Künstler, indem er nicht nur ihre Werke vorstellt, sondern auch ihre Lebenswege aufzeigt. Dadurch wirken selbst die Zitate aus Krankenakten der Künstler nicht denunzierend, sondern vielmehr aufklärend.
Mit der Präsentation zeitgenössischer Künstler im Film, schlägt Beetz die Brücke zur Kunst als anerkannte Therapieform und Behandlungsmethode in der heutigen Zeit. Besondere Faszination gewinnt die Dokumentation dadurch, dass alle vorgestellten Künstler jederzeit ernst genommen werden. Beim Zuschauer wird dadurch ein anhaltendes Interesse an ihrer Person und Entwicklung geweckt, so dass die Bemerkung: „Das ist ja irre“ eine vollkommen neue Bedeutung gewinnt.