Adolf-Grimme-Preis an
Florian Opitz (Buch/Regie)
Andy Lehmann (Kamera)
Produktion: Discofilm
Stab
Produktion: Discofilm, Arne Ludwig, Felix Blum
Buch/Regie: Florian Opitz
Kamera: Andy Lehmann
Schnitt: Niko Remus
Redaktion: Sabine Rollberg (WDR/ARTE), Renate Stegmüller (BR)
Erstausstrahlung: Dienstag, 23.9.2008, 23.05 Uhr
Sendelänge: 94 Min.
Inhaltsangabe
Jeden Tag ist Minda im philippinischen Manila unterwegs, um Geld für ihren nierenkranken Sohn aufzutreiben. Medizinische Versorgung ist teuer, seit das Gesundheitssystem privatisiert wurde. Wenn sie zu wenig hat, erhält sie den Rat, sich mit dem nahen Tod ihres Kindes einfach abzufinden. Bongani bringt im südafrikanischen Soweto illegal Menschen wieder ans Netz, die sich den Strom nicht mehr leisten können, weil sie ohnehin am Existenzminimum leben. Wer nicht zahlt, so der private Strombetreiber, muss halt in Kälte und Dunkelheit sitzen. Im bolivianischen Cochabamba ist sogar Wasser kein Allgemeingut mehr. Frei zugängliche Quellen sind gesperrt, das Auffangen von Regenwasser ist illegal. Simon ist Lokführer. Seit der Privatisierung der britischen Bahn wechseln ständig seine Arbeitgeber. Jeder neue Chef bringt neue Uniformen, weniger Lohn und schlechtere Arbeitsbedingungen. Doch weil auch immer weniger in die Wartung investiert wird, häufen sich auf britischen Schienen schwere Unfälle. – Florian Opitz zeigt die absurden, oft menschenverachtenden Folgen von Privatisierung. Die Weltbank und der Währungsfonds verkaufen sie dennoch als Heilsbringer, der finanziell angeschlagene Länder aus den roten Zahlen bringen kann. Mit der Wirtschaft ist es wie mit der modernen Kriegsführung, kritisiert Nobelpreisträger und Wirtschaftswissenschaftler Joseph E. Stieglitz. Beides wurde entmenschlicht, es zählt nur noch der Profit.
Begründung der Jury
„Der große Ausverkauf“ ist ein packender Dokumentarfilm über die Opfer der weltweiten Privatisierung. Ein Film, der nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern wütend macht und zum Widerstand aufruft. Und das ganz ohne den belehrenden Appell eines Kommentars. Es sind die Einzelschicksale, die diesen Film so besonders machen: mit sorgsam ausgewählten Protagonisten, die verdeutlichen, dass der abstrakte Begriff der Privatisierung oft lebensbedrohliche Realität ist.
So muss Minda zweimal pro Woche das Geld für die Dialyse ihres Sohnes auftreiben. Auf den Philippinen wurde das Gesundheitssystem privatisiert. Minda lebt mit ihrer Familie in einem Slum in der Hauptstadt Manila. Geld hat sie nie. Der Film zeigt in vielen berührenden Szenen, wie sich die verzweifelte Mutter trotz aller Hoffnungslosigkeit unermüdlich von Dialyse zu Dialyse kämpft, wie sie bettelt und fleht.
Im südafrikanischen Soweto ist es der junge Familienvater Bongani, der gegen die Privatisierung des Stromnetzes kämpft. Damit ist der Strom für viele Bewohner unbezahlbar geworden. Zahlreichen Häusern wurde bereits der Strom gekappt. Bongani schließt mit „Guerilla-Elektrikern“ die Häuser illegal wieder an das Netz an, immer in der Gefahr, erwischt zu werden. Am Ende des Films ist Bongani tot.
In Bolivien sterben sieben Menschen beim Kampf gegen einen US-Konzern, der erst die Wasserversorgung unter seine Kontrolle gebracht und dann die Preise um 40 Prozent angehoben hat. Von eher bitterem Humor erscheint dagegen die Geschichte von Lokführer Simon, der gegen den Verkauf der British Rail an über einhundert Privatfirmen kämpft und dabei mit viel Ironie über die Absurditäten und Folgen der Bahnprivatisierung berichtet: mit heillosem Fahrplanchaos, einem verrotteten Schienennetz, häufigen Unglücken.
Mit Hilfe dieser vier sehr verschiedenen, aber kunstvoll ineinander verwobenen Erzählstränge schafft es der Film, den Zuschauer zu fesseln und aufzurütteln. Er bebildert keine Thesen, sondern erzählt die Geschichten von Menschen auf vier verschiedenen Kontinenten. Er nähert sich den Betroffenen einfühlsam, begleitet sie, verliert aber nie den Blick für das Drumherum, für Landschaften und Lebensräume. Die von Kameramann Andy Lehmann gemachten Bilder sind wunderbar, die Schnitte sind stimmig gesetzt.
Weil Fernsehredakteure und Produzenten das Thema zu trocken fanden, musste Florian Opitz hart für die Finanzierung kämpfen. Trotz aller Schwierigkeiten ist dem jungen Filmemacher ein grandioser Film gelungen – ein Film, der einen nicht wieder loslässt.