45. Grimme-Preis 2009

Mädchengeschichten (ZDF/3sat)

Adolf-Grimme-Preis „Spezial“ an

Inge Classen und Katya Mader (Konzept und Redaktion)

Produktion: Trafik Film u.a.

Stab

Titel: Töchter der Gewalt, Frag nicht, warum; Good Morning, Hanoi; Maroc en vogue; Die Akkordeonspielerin; Tanja rockt; Weit weg von hier; Lora vom Kirschbaum; u.a.

Produktion: Trafik Film/Brenda Parkerson; Schoenfilm/Busso von Müller; Filmgalerie 451/Frieder Schlaich; Gebrüder Beetz Filmproduktion/Christian Beetz; Büchner
Filmproduktion/Tobias Büchner; Weltfilm/Ursula Scribano; Engelfilm/Lilly Engel u.a.

Buch/Regie: Maria Barea; Sabiha Sumar; Julia Albrecht; Irene von Alberti; Biljana Garvanlieva; Christiane Büchner; Kristina Konrad; Lilly Engel u.a.

Redaktion: Inge Classen, Katya Mader, Brigitta Lange, Nicole Baum, Udo Bremer

Erstausstrahlung der Startfolge: Sonntag, 13.12.1998, 21.15 Uhr

Erstausstrahlung der bisher letzten Folge: Sonntag, 21.9.2008, 18.00 Uhr

Sendelänge: je 30 Min.

Inhaltsangabe

 Szenenfoto: Mädchengeschichten; Foto: ZDF/M. Claire Pijman; Trafik Film„Wenn niemand da ist, um dich zu verteidigen, musst du dich selbst verteidigen ...“, sagt Lora. Angst habe sie nicht, dafür habe sie zu viel Aggressionen. Lora arbeitet in einer Nachtbar in Sofia, weil man nachts mehr verdient als tagsüber. Sie wohnt bei ihrem Bruder. Ihr Vater hat das Haus verspielt. Ihre Mutter ließ sie bei den Großeltern zurück und arbeitet in Griechenland. Lora schreibt Gedichte, aber das habe keine Perspektive, findet sie ... Tanja aus Moskau träumt davon, Dokumentarfilmerin zu werden. Dafür will sie an der renommierten Filmhochschule VGIK studieren. Sie bereitet sich gewissenhaft in Kursen vor, schlägt aber in ihrer Freizeit oft über die Stränge. Mit ihrer Bewerbungsmappe fällt Tanja schließlich durch. Aber sie weiß auch nicht, ob eine Schule die richtige für sie ist, die in Jim Jarmusch einen unwichtigen amerikanischen Filmemacher sieht... Daniela lebt mit ihrem Mann, ihrem Sohn und anderen Verwandten in Montevideo. Sie will zu Hause einen eigenen Friseursalon aufmachen. Die Familie ist arm, durch Sparsamkeit und Zusammenhalt arbeitet sie sich aber langsam nach oben. Ihr Vater ist in die USA emigriert, um dort Geld zu verdienen. Regelmäßig schickt er Lebensmittel und Geschenke, doch Daniela vermisst ihn sehr ... – In der Reihe „Mädchengeschichten“ begleiten die Filmemacherinnen 17-Jährige aus verschiedenen Ländern der Welt durch ihren Alltag, lassen sie von ihrem Leben und ihren Zukunftsplänen berichten.

Begründung der JurySzenenfoto: Mädchengeschichten; Foto: ZDF/M. Claire Pijman; Trafik Film

Lê in Hanoi, Daniela in Montevideo, Lora in Sofia: Mädchen von siebzehn, achtzehn Jahren, Mädchen in aller Welt. Keines ist mit keinem direkt vergleichbar – und doch zeigen sich über Länder und Kontinente hinweg für viele Betrachter sicher verblüffende, erstaunliche Schnittpunkte, natürlich auch Gemeinsamkeiten, die nicht so unerwartet sind.

Mädchen, dies wird natürlich deutlich, haben Träume, weit tragen sie ihre Sehnsüchte über die oft beengte Realität hinaus. Die Lebensentwürfe sind mal mehr, mal weniger deutlich ausformuliert. Schnell, so zeigt sich, kann vom erhofften großen Glück nur das kleine übrig bleiben. Das alles in einem vielfältig geprägten Geflecht von Gefühlen und Befindlichkeiten: von gehorsam bis eigenwillig, von selbstbewusst bis verwundbar, in fließenden Stadien: noch Kind, bereits Mutter.

Die 3sat-Reihe „Mädchengeschichten“ wird in der redaktionellen Obhut von Inge Classen und Katya Mader realisiert, mit klarer Konzeption und Zielsetzung, mit beeindruckender Konsequenz. Trickreich sind diese kurzen, sprich 30 Minuten langen Dokumentarfilme angelegt – Autoren-, richtiger: Autorinnenfilme im besten Sinne. Regie führen ausschließlich (junge) Frauen, die zumeist aus den Ländern der Protagonistinnen kommen.

Diese Voraussetzungen fördern Nähe ohne Anbiederung ist, sie fördern auch Verständnis – ohne dass dies zum Einverständnis werden muss. Die erkennbar unterschiedlichen Signaturen – dankbare Folge größtmöglichen künstlerischen Freigangs – sichern den „Mädchengeschichten“ jene Frische, ohne die ein Format keinesfalls sein darf, das sich nicht im Schema F totlaufen will. Redaktion und Regie suchen und konturieren das Passepartout, in dem ein biografischer Lebensabschnitt seine angemessene, seine passende Darstellungsform findet.

Wer sich eine „Mädchengeschichte“ erzählen lässt, der weiß, was kommt, und er weiß es doch nicht. Leben erweist sich ein weiteres Mal als unberechenbar. „Mädchengeschichten“, das ist zeitgenössisches Weltfrauenfernsehen. Die Reihe ist zutiefst human, sie entbehrt jeder geliehenen Prominenz, zeigt ganz unaufdringlich, was Mädchen-Sein bedeutet.

Seit zehn Jahren läuft die Reihe bei 3sat, frei von jeglicher Erschöpfung, immer reich an Überraschung. So liegt mittlerweile eine Enzyklopädie der „Mädchengeschichten“ um die Jahrtausendwende vor. Die Frage drängt sich auf: Wer wagt sich eigentlich mal an „Jungengeschichten“? Inge Classen und Katya Mader können bestimmt raten, wie das gut gehen könnte – und wie es gut geht.

 
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