47. Grimme-Preis 2011

Am Ende kommen Touristen (ZDF)

PreisträgerInnen

Buch/Regie: Robert Thalheim

Produktion: Britta Knöller, Hans-Christian Schmid, 23/5 Filmproduktion GmbH in Koproduktion mit dem ZDF/Das kleine Fernsehspiel und in Zusammenarbeit mit Pictorion Pictures

Erstausstrahlung: Montag, 25.1.2010, 0.15 Uhr

Sendelänge: 85 Min.

Inhalt

Auschwitz statt Amsterdam. Dass der 19jährige Sven seinen Zivildienst in der internationalen Begegnungsstätte Oswiecim ableistet, war alles andere als geplant. Durch die Betreuung des ehemaligen Lagerhäftlings Stanislaw Krzeminski verändert Svens Sicht auf das eigene Leben radikal. Aus dem jugendhaften Träumer wird ein erwachsener Mann.

Begründung der Jury

Auschwitz, das Tor zur Hölle mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“, eineinhalb Millionen Tote, Erinnerungs-Worthülsen aus Politikermund, Betroffenheitsstarre. Robert Thalheim gelingt das beinahe Unmögliche: Er erzählt mit schlafwandlerischer Sicherheit eine zarte Liebesgeschichte im heutigen Auschwitz. Der Film ist eine Rarität. Er schafft es fast spielerisch, den Bogen von der Vergangenheit ins Hier und Jetzt im polnischen Oswiecim zu schlagen. Er setzt ein sich erinnerndes Individuum gegen die Mechanik der mehr oder minder standardisierten öffentlichen Erinnerungskultur. Erzählt wird aus der Perspektive des 19jährigen „Zivis“ Sven. Ihn verschlägt es nur durch Zufall nach Auschwitz. Er hat seine Traumstelle in Amsterdam nicht bekommen. Jetzt muss er in der Gedenkstätte des ehemaligen KZs den polnischen Holocaust-Überlebenden Krzeminski betreuen. Der junge Deutsche weiß eigentlich gar nicht, was er hier soll. Und Krzeminski (gespielt vom Wajda-Schauspieler Ryszard Ronczewski), der tagsüber Schulklassen von seinen KZ-Erlebnissen erzählt und abends die alten Koffer seiner ermordeten Mithäftlinge repariert, will keinen Aufpasser und schon gar keinen Deutschen. Das schafft Probleme.

Doch Robert Thalheim will kein Drama. Beiläufig und ohne jegliches Pathos erzählt er in ruhigen Bildern vom Lebensgefühl seines jungen Helden an diesem historisch sensiblen Ort. Wie es sich anfühlt hier zu leben, zu arbeiten und zu lieben. Ausgerechnet an den Postkartenständern in der berüchtigten Lagerstraße begegnet er Ania, einer emanzipierten jungen Polin. Und so wird Auschwitz mit seiner Topografie des Grauens und dem heutigen Gedenkstätten-Rummel zum Hintergrund einer stimmigen Adoleszenzgeschichte - en passent und schwerelos.

Robert Thalheim – ein Schüler von Rosa von Praunheim – gelingt es, mit zielsicheren Dialogen und genauer Schauspielführung eine große Nähe zu seinen Figuren herzustellen. Alexander Behling verkörpert Sven. Es ist eine gelebte, unforcierte Nähe zu seinem Helden, das spürt man, denn Thalheim hat wie bereits bei seinem Erstling „Netto“ das Buch selbst geschrieben. „Am Ende kommen Touristen“ basiert auf eigenen autobiografischen Erlebnissen als Zivildienstleistender in Auschwitz. Es ist die sichtbar gemachte Perspektive der Nachgeborenen, einer Generation junger Europäer, die in Thalheims Film über alle narrativen und inszenatorischen Fähigkeiten hinaus überzeugt und die zu einem tiefer gehenden Geschichtsverständnis beitragen könnte – weg von verordneter und kollektiver Holocaust-Bewältigung hin zu individuellem Gedenken.

 
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