PreisträgerInnen
Rosa von Praunheim (Buch/Regie)
für
Die Jungs vom Bahnhof Zoo (rbb/NDR)
Produktion: Rosa von Praunheim Filmproduktion
Inhalt
Klaus, Daniel und Nazif. Drei Namen, die für unterschiedliche Schicksale stehen, und eng verbunden sind mit der Stricherszene am Bahnhof Zoo in Berlin. Die Motive, ihren Körper für Geld zu verkaufen sind unterschiedlich. Viele, die anschaffen gehen, seien nicht einmal homosexuell, so Ärztin Claudia, die zwei Mal im Monat mit Sozialarbeiter Sergiu zu den Treffpunkten am Zoo oder in Schöneberg fährt, um Präventionsarbeit zu leisten. Dies kann auch bedeuten, dass sie den Jungen und jungen Männern beim Ausstieg helfen. “Strukturelle Prävention” nennt Sergiu das. Auch um eine vorübergehende Bleibe kümmern sie sich. Dennoch landen viele immer wieder auf dem Strich – die schnelle Nummer im Sexkino oder eine Nacht beim Freier. Lukrativ ist das Ganze oft nur, wenn der Stricher jung und sportlich ist. Klaus, Daniel und Nazif erzählen offen davon, wie sie Stricher wurden und welche Erfahrungen ihre Kindheit bestimmt haben. Dabei fällt auf, dass viele von ihnen schon als Kinder von Erwachsenen sexuell und körperlich missbraucht wurden. Für Nazif war sein Freier Robert daher nicht nur bloßer Kunde: “Von Robert bekam ich die Liebe, die ich sonst nie bekam.” Überhaupt zeigt Rosa von Praunheim ein Bild, das so in der Öffentlichkeit nicht präsent ist: Was Fernsehbeiträge und Polizei noch vor wenigen Jahrzehnten als “asoziale Elemente” und “Parasiten der Gesellschaft” bezeichneten, sind Menschen mit Hoffnungen, Träumen und Gefühlen, auf der Suche nach Liebe, Geld und Glück.
Stab
Produktion: Rosa von Praunheim Filmproduktion
Federführender Sender: rbb
Buch/Regie: Rosa von Praunheim
Kamera: Nicolai Zörn, Lorenz Haarmann, Jens Pätzold, Dennis Pauls, Thomas Ladenburger
Schnitt: Mike Shephard
Ton: Thomas Schrader, Oliver Sechting, Markus Tiarks, Manja Ebert
Musik: Andreas Wolter
Redaktion: Jens Stubenrauch (rbb), Barbara Denz (NDR)
Erstausstrahlung: rbb, Do., 17.11.2011, 22.45 Uhr
Sendelänge: 90 Min
Jurybegründung
Von Praunheims Filmografie ist reich an schrillen Filmen, mit denen er bewusst provozierte, mitunter auch schockierte. In diesem Film schlägt er überraschend andere Töne an, auch wenn er sich selbst und seinem von ihm schon facettenreich variierten Thema Schwules Leben in Deutschland treu bleibt.
In „Die Jungs vom Bahnhof Zoo“ portraitiert er auf sensible Weise und dennoch knallhart realistisch fünf ehemalige Strichjungen vom Berliner Bahnhof Zoo. Über Interviews und Beobachtungen verfolgt er ihren Weg zurück, der sie seinerzeit in der Stricher-Szene landen ließ. Dabei wird sicht- und hörbar, dass die Mehrheit seiner Protagonisten Opfer seelischer, physischer und auch sexueller Misshandlungen sind oder vor Armut und Krieg aus ihrer Heimat geflüchtet sind.
Für das Anschaffen auf dem Strich braucht es keine großen Sprachkenntnisse, keine Ausbildung und keine amtlichen Papiere. Das Geld ist schnell verdient. Alkohol und Drogen machen ein solches Leben erträglicher, bis auch hier Abhängigkeit die Probleme der Jungs potenziert.
Von Praunheims Fragen sind klar und nicht suggestiv. Die überraschende Offenheit der Jungs lässt das Vertrauen erahnen, das der Regisseur bei ihnen genießt und das im Film nie missbraucht wird. Das trägt zur Authentizität in hohem Maße bei. In der spürbaren, menschlichen Nähe zu seinen Protagonisten, in der nichts beschönigenden aber unaufgeregten Beschreibung ihrer Lebenswelten liegt die große Leistung von Praunheims. Die Erzählstruktur verschachtelt die Portrait-Linien und lässt auf diese Weise sowohl das Exemplarische als auch das ganz Individuelle dieser Schicksale hervor treten.
In einer geschickten Montage gleich am Anfang des Films macht von Praunheim sein übergreifendes Anliegen deutlich: in Ausschnitten aus der Berliner Abendschau von 1965 beschimpft ein Polizeisprecher in scharf propagandistischem Ton die damaligen Stricher vom Bahnhof Zoo als schwerkriminelle, asoziale Elemente.
Das ist fast 50 Jahre her, aber von Praunheim weiß, dass trotz schwuler Spitzenpolitiker und erlaubter Homo-Ehe vieles von dieser Homofeindlichkeit bis heute latent in der Gesellschaft lebt. Dieser bornierten Ablehnung setzt er in seinem Film die Schicksale der fünf Jungs entgegen und wirbt für unsere Anteilnahme.