PreisträgerInnen
Thomas Kirchner (Buch)
Christian Schwochow (Regie)
Lars Lange (Ausstattung)
Jan Josef Liefers, Claudia Michelsen,
Sebastian Urzendowsky (stellv. für das Ensemble)
Produktion: teamWorx
Erstausstrahlung: Das Erste, Mittwoch 03.10.2012 und
Donnerstag 04.10.2012, 20:15 Uhr
Sendelänge: je 90’
Inhalt
Dresden 1982. Im Leben Richard Hoffmanns zählt nur der Erfolg. Als leitender Chirurg rechnet er sich gute Chancen aus, zum nächsten Klinikchef befördert zu werden. Doch die Stasi erpresst ihn mit dem Wissen um sein Doppelleben. Denn Richard hat mit seiner Sekretärin zwei Kinder. An seinen richtigen Sohn Christian legt er strenge Maßstäbe an. Er soll Karriere machen. Für den Jugendlichen wird das Verhältnis zu seinem Vater immer schwieriger. Auch die Beziehung zu seiner Mutter Anne ist nicht unbelastet. Einzig Onkel Meno ist ihm eine Stütze. Doch auch Meno hat Probleme. Er ist als Lektor gefangen zwischen revolutionären Gedanken, seiner Zuneigung zu einer Schriftstellerin und der DDR-Kulturbürokratie. Damit Christian Medizin studieren kann, muss er NVA-Dienst leisten. Aber nach einer Schlägerei mit seinem Vorgesetzten wird er verurteilt. Trotz der widrigen Haft-Umstände macht er in dieser Zeit positive Erfahrungen. „Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, gebraucht zu werden“, schreibt er seinen Eltern. Es passiert viel in dieser Zeit. Christian erlebt den Niedergang eines Gesellschaftssystems, in dem Bildungsbürger eigentlich nicht vorgesehen sind. Am Ende erfährt Richard, dass er nicht neuer Klinikchef werden wird. Daraufhin muss er von seiner Frau Anne in die Psychiatrie eingewiesen werden. Sie schließt sich danach ganz der DDR-Oppositionsbewegung an. Als Christian vom NVA-Dienst entlassen wird, trifft er seine Mutter und Onkel Meno vor der Kaserne. „Ich glaube, ich muss jetzt mal alleine weiter“, sagt er und lässt die beiden zurück. Er nimmt seine Leben selbst in die Hand.
Stab
Produktion: teamWorx
Federführender Sender: MDR
Buch: Thomas Kirchner (nach dem gleichnamigen Buch von Uwe Tellkamp)
Regie: Christian Schwochow
Kamera: Frank Lamm
Schnitt: Jens Klüber
Ton: Jörg Kidrowski
Musik: Can Erdogan-Sus, Daniel Sus
Darstellung: Jan Josef Liefers, Sebastian Urzendowsky, Claudia Michelsen, Götz Schubert, Hans Uwe Bauer, Steffi Kühnert, Stephanie Stumph
Redaktion: Jana Brandt (MDR), Bettina Reitz (ARD degeto), Bettina Ricklefs (BR), Christian Granderath (NDR), Michael André (WDR), Manfred Hattendorf (SWR). Rosemarie Wintgen (rbb)
Jurybegründung
Auf fast 1000 Seiten lässt Uwe Tellkamp im Roman „Der Turm“ die Welt einer Dresdner Bildungsbürgerfamilie in den letzten DDR-Jahren entstehen. Wie soll man davon in 180 Fernsehminuten erzählen, ohne Details unverhältnismäßig zu betonen oder die Geschichte grob zu vereinfachen? Dem Zweiteiler aus der Teamworx-Werkstatt gelingt der Drahtseilakt zwischen Opulenz und Verdichtung. „Der Turm“ ist eines der seltenen Beispiele einer optimalen Literaturverfilmung.
Drehbuchautor Thomas Kirchner legt den inneren Kern der Romanvorlage frei: Anpassung und Aufbegehren, Liebe und Unterwerfung - hier kämpfen Mütter und Kinder, Onkel und Neffen um ihre Status im Schatten eines autoritären, eines sterbenden Staates. Eine Familie im permanenten Stellungskrieg. Doch Regisseur Christian Schwochow inszeniert dieses Requiem für ein Land und für eine Familie nicht etwa als düsteres Endzeitstück, sondern als Drama der Widersprüche und Reibungen: Hier das große, ausgelassene Weihnachtsfest, das die Familie vereint, dort die große Lebenslüge des notorisch unehrlichen Vaters. Hier die kleinen fröhlichen subversiven Attacken gegen den „realen Sozialismus“, dort der erbarmungslose Überwachungsapparat der Staatssicherheit.
In sorgsam austarierten, detailgenauen Bildern gelingt es Schwochow, diese Paradoxien aufzuzeigen, ohne sie wohlfeil aufzulösen. Konnte man in einem Unrechtsstaat rechtschaffen glücklich sein? Natürlich! Selbst wenn man im nächsten Moment an ihm zu zerbrechen drohte. Der offensiv sinnenfreudige Zweiteiler befreit das Genre DDR-Drama von seiner didaktischen Schwere - und zeigt doch immer wieder präzise, wie die Protagonisten im Überwachungsstaat ihrer Identität beraubt werden.
Das Ensemble der Schauspieler setzt dieses Spiel mit den Ambivalenzen feinnervig um: Götz Schubert verkörpert als Lektor zwischen Linientreue und Widerstand grandios den zaudernden Geistesmenschen. Sebastian Urzendowsky bekämpft als Heranwachsender mit trotziger Disziplin die in ihm schlummernde Unruhe und Lust. Claudia Michelsen geht als Mutter erst gegen ihren Mann und dann gegen das System in den Widerstand.
Schließlich ist natürlich Jan Josef Liefers zu nennen als charismatischer Patriarch, der meint, seine Liebenden und sein Refugium zu schützen, während er beides doch mit seinem Selbstbetrug nur in den Abgrund zu reißen droht. Ein Mann wie die DDR selbst: eine einzige Lüge.
Große Zeitgeschichte in Fernsehbildern: der Todeskampf eines untergehenden Staates, verdichtet im Kosmos einer Familie.