PreisträgerInnen
Eric Friedler (Buch/Regie)
Produktion: NDR
Erstausstrahlung: Das Erste, Dienstag, 12.06.2012, 23.45 Uhr
Sendelänge: 90’
Inhalt
Als Kind, erzählt Charly Graf, träumte er von einer Creme, die seine Hautfarbe weiß machen würde. Der kleine Junge wuchs als Sohn eines schwarzen US-Soldaten und einer weißen Deutschen in den Mannheimer Benz-Baracken auf. Außerhalb dieser Wohnsiedlung erlebt er oft einen deutschen Alltags-Rassismus. Aber auch in den Baracken selbst ist die Welt für ihn nicht in Ordnung. Als Kind liegt er oft weinend im Bett, voller Angst, dass seine Mutter einen fremden Mann mit nach Hause bringt. „Ein Deutscher Boxer“ gibt einen intimen Einblick in das von Höhen und Tiefen bestimmte Leben Charly Grafs. Aufgrund seiner Verstrickungen ins Rotlicht-Milieu landet Graf in der JVA Stammheim. Hier freundet er sich mit dem RAF-Terroristen Peter-Jürgen Broock an. Im Gefängnis darf Graf regelmäßig trainieren – in einer Wellblechhütte, die sich im Sommer auf bis zu 35 Graf aufheizt. Für seine Kämpfe darf er die JVA unter Aufsicht verlassen. 1985 wird er deutscher Schwergewichtsmeister. Aber Graf weiß, dass die, die aus dem Rotlicht- und Ghetto-Milieu zu ihm halten, nicht unbedingt seine wahren Freunde sind: „Man wird nur als Sieger gemocht wird.“ Heute ist Charly Graf kein Sieger mehr, sondern ein gebrochener Mann. Einer, der Sehnsüchte hat, Liebe und Zuneigung sucht, aber doch in absoluter Einsamkeit leben muss. „Damit werde ich nicht mehr fertig“, sagt er. Ganz anders der Moment, als Graf mit dem Schwergewichtstitel zurück ins Gefängnis kam. Jeder jubelte ihm zu. „Da war ich auch kein Schwarzer mehr. Da war ich ein deutscher Staatsbürger, der geliebt wird.
Stab
Produktion: NDR
Federführender Sender: NDR
Buch/Regie: Eric Friedler
Kamera: Frank Groth, Thomas Schäfer
Schnitt: Andrea Schröder-Jahn
Ton: Rainer Kakoschke, Thomas Lienau
Redaktion: Patricia Schlesinger (NDR), Fritz Frey (SWR)
Jurybegründung
„Sunny, Yesterday my life was filled with rain“: Stevie Wonders Song stimmt ein auf das Porträt von Charly Graf – ein Mensch auf der Suche nach sich selbst, ein Mensch, der unglaublich viele Rück- und Niederschläge wegstecken muss. Seine ihn lebenslang begleitenden Probleme, seine ihm eigene Aggressivität rühren aus seiner frühen Kindheit. Als „Negerkind“ einer Deutschen und eines schwarzen GI hat er eine einzige große Sehnsucht: Er möchte weiß sein.
Eric Friedler lässt seinem Protagonisten viel Zeit bei der Suche. Die Kamera bleibt immer nahe dabei, wenn sich in den Gesichtszügen Verkrampfungen lösen und Gedanken und Erinnerungen frei werden. Bei aller emphatischen Nähe ist der Film immer wohltuend distanziert, verliert sich nicht in Heroisierungen.
Die so gestaltete filmische Biografie ermöglicht dem Protagonisten und den Zuschauern eine kritische Reflexion. Dadurch gewinnt der Film eine innere Spannung. Die Basis wiederum liefert die klassische Methode, bei der Friedler mit Graf zu wichtigen Stationen seines Lebens zurückkehrt und ihn dort denken und reden lässt. Hinzu kommen Zeitzeugen wie der Promoter Ebby Thust oder der Box-Manager Jean Marcel Nartz und auch die Trainerlegende Angelo Dundee. Sie alle teilen sich unvoreingenommen mit über diesen „Cassius Clay vom Waldhof“, der nicht nur deutscher Schwergewichtsmeister war, sondern – und das ist bis heute einmalig – der Boxer war, der aus dem Gefängnis heraus im Alleingang die Boxerszene aufmischte.
Fiedler recherchiert umfassend und gründlich. Er findet Bilder und Filme aus der frühen Kindheit Grafs in den Benz-Baracken in Mannheim, aus der Mannheimer Zuhälterszene und von seinen Boxkämpfen. Besonders beeindruckend ist das, was er über die Freundschaft Grafs mit Jürgen Boock, dem Ex-Terroristen erfährt. Boock ist sozusagen der gute Geist in Charly Grafs Leben – weil er das geschafft hat, wird Graf resümieren, „was die Sozialarbeiter bei mir nicht geleistet haben“.
Eric Fiedlers Film ist eine dichte, spannende Biografie, die zu keiner Phase langatmig wird. Der Film zeigt, welche Möglichkeiten das Fernsehen hat, um spannend und informativ ein Leben zu beschreiben. Auch wenn die Schlussszene fast zu schön ist, wenn Graf, der Verlierer, vom damaligen Sieger die Siegesplakette bekommt – irgendwie gehört das zum ungewöhnlichen Leben von Charly Graf. So wird der Film auch zu einer biografisch erzählten Nachkriegsgeschichte und ein Beispiel für die Fähigkeit, Krisen zu überwinden. Darüber hinaus zeigt er, wie sich ein durch ungünstige Sozialisation geprägtes Leben positiv ändern kann.