52. Grimme-Preis 2016

Deutschland 83 (RTL)

Grimme-Preis an

Anna Winger (Buch und Idee)

Jörg Winger (Idee)

Edward Berger (Regie)

Samira Radsi (Regie)

Lars Lange (Szenenbild)

Reinhold Heil (Komposition und Musikarrangement)

Jonas Nay (Darstellung)

Produktion: Ufa Fiction

Erstausstrahlung: Donnerstag, 26.11.2015 bis 17.12.2015, RTL

Sendelänge: 45’

Stab

Idee: Anna Winger, Jörg Winger

Buch: Anna Winger

Regie: Edward Berger, Samira Radsi

Kamera: Philipp Haberlandt, Frank Küpper

Schnitt: Sven Budelmann, Boris Gromatzki

Ton: Andreas Walther, Oliver Grafe

Komposition/Musikarrangement: Reinhold Heil

Darsteller: Jonas Nay, Sonja Gerhardt, Maria Schrader, Ludwig Trepte, Ulrich Noethen u.v.a.

Inhalt

Ost-Berlin Anfang der Achtzigerjahre: Der DDR-Soldat Martin Rauch (Jonas Nay) wird von der Hauptverwaltung `Aufklärung´ des Ministeriums für Staatssicherheit als Spion angeworben. Er bekommt den Auftrag, unter falscher Identität als Adjutant des Bundeswehrgenerals Wolfgang Edel (Ulrich Noethen) eine westdeutsche Raketenbasis zu infiltrieren. Die ängstliche Frage der DDR-Geheimdienstler: Plant die NATO einen Angriff auf die Sowjetunion und ihre Verbündeten? Von der Führungsoffizierin Lenora Rauch (Maria Schrader), die zugleich Martins Tante ist, bekommt Martin Tobias Tischbier (Alexander Beyer) als Verbindungsmann zugewiesen. Tischbier arbeitet als Professor an der Universität Bonn und engagiert sich in der Friedensbewegung. Er führt den jungen Ost-Soldaten in die Lebensweisen des Westens ein. Rauch lernt schnell. Das gesamte Umfeld im Westen fällt auf seine Tarnung herein – so auch der Sohn von General Edel, Alexander (Ludwig Trepte), der seinen streng konservativen Vater bis aufs Blut hasst, sowie Edels Tochter Yvonne (Lisa Tomaschewsky), die vor ihrem Vater in eine Bhagwan-Community geflüchtet ist.

Hin- und hergerissen zwischen den Zentren des Wettrüstens und Freunden auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze verpflichtet, gerät der junge Agent zwischen die Fronten – familiär, emotional und politisch.

Begründung der Jury

Ein junger Mann inmitten der Planspiele des Kalten Krieges: Das ist das atemberaubende Setting der achtteiligen RTL-Serie „Deutschland 83“. Wir wechseln mit dem Helden von einem Tag auf den anderen die Systeme, als würden wir ein neues T-Shirt überstülpen. Und tatsächlich: Den Regisseuren Edward Berger und Samira Radsi gelingt es mit spielerischer Leichtigkeit, in farbsatten Panoramabildern den Übergang vom Sozialismus in den Kapitalismus der frühen Achtzigerjahre zu zeigen. In einer Szene reicht das knallige T-Shirt eines großen Sportswear-Konzerns, um den aktuellen Standort des Systemwandlers aufzuzeigen. Doch stets zeichnen sich die Szenen durch Ironie, Ambivalenz und ein untrügliches Gespür für Doppelbödigkeit aus.Im deutschen Fernsehen bislang ungesehen ist es, wie es Drehbuchautorin Anna Winger gelingt, aus dem durch Ortswechsel, Camouflagen und Suspense-Techniken vorangetriebenen Plot ein veritables psychologisches Drama zu entwickeln: Wir schauen einem jungen Mann dabei zu, wie er vor dem komplexen politischen Hintergrund zwischen nuklearen Planspielen, Pershing-2-Stationierung und SS-20-Aufrüstung versucht, seine eigene Moral, seine eigene Wahrheit zu finden und zu verteidigen. Jonas Nay spielt diese Selbstsuche athletisch, feinnervig und aufwühlend. Wie zu sich selbst finden, wenn der Freund der Feind ist? „Deutschland 83“ ist auch ein Coming-of-Age-Drama unter extremen Bedingungen.

Gleichzeitig schafft es die Serie, das Lebensgefühl der frühen Achtzigerjahre zwischen nuklearer Paranoia und esoterischer Befreiung einzufangen. Die Bhagwan-Sekte und die Friedensbewegung, westdeutsche Neue-Deutsche-Welle-Hits und ostdeutscher Freikörperkult – das alles findet Eingang in dieses mit psychosozialer Präzision inszenierte Spionage-Melodram. Hier sitzt einfach jedes Element; frappierend genau auch, wie der Komponist Reinhold Heil auf der Tonspur für popkulturelle Akkuratesse sorgt. Der Soundtrack alleine erzählt eine eigene Geschichte.

So oft die deutsch-deutsche Geschichte im deutschen Fernsehen schon thematisiert wurde: Nie zuvor ist es geglückt, den Stoff mit solchem Tempo und Einfallsreichtum zu erzählen und dabei zugleich die Schizophrenie der Teilung des Landes so schmerzhaft genau auf den Punkt zu bringen. Und das in einer universalen Sprache, die man sowohl hierzulande wie auch im Ausland versteht. „Deutschland 83“ ist nicht weniger als der Anfang für neues serielles Erzählen in Deutschland.

 
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