56. Grimme-Preis 2020

Ab 18! Die Tochter von … (Joakim Demmer Film & TV Produktion für ZDF/3sat)

Grimme-Preis an

 

Joakim Demmer (Buch/Regie)

Verena Kuri (Buch/Regie)

Chiara Minchio (Buch/Regie)

 

Produktion: Joakim Demmer Film & TV Produktion für ZDF/3sat

Erstausstrahlung: 3sat, Dienstag, 05. November 2019, 22.15 Uhr

Sendelänge: 28 Min.

 

Inhalt

In Argentinien gilt der Fall ihrer Mutter Marita Verón als Politikum: Eine junge Frau, die 2002 von Menschenhändlern verschleppt wurde und bis heute verschwunden ist. Micaela Verón, heute 19 Jahre alt, suchte von Kindheit an nach der Mutter, angetrieben von ihrer kämpferischen Großmutter. Wie lebt man ein Leben, in dem man in erster Linie "die Tochter von" ist? Micaelas Großmutter Susana Trimarco wurde in Argentinien zur nationalen Ikone und zur Mitbegründerin einer stetig wachsenden Frauenbewegung. Micaela dagegen muss ihren Weg erst noch finden. Dazu gehört auch, ihre Heimatstadt Tucumán sowie das Haus und die Einflusssphäre der übermächtigen Verwandten zu verlassen. Ein Neuanfang gelingt ihr in der argentinischen Universitätsstadt Córdoba, wo sie erstmals allein und ohne Personenschutz lebt. Die junge Frau, deren Gesicht immer wieder in den Nachrichten war, möchte ihre Vergangenheit hinter sich lassen und sich nicht mehr nur über die Opferrolle identifizieren müssen. Ihre Freundin Mica wie auch ihr Hund Charly, vor allem aber das Erstarken der feministischen Bewegung in Argentinien, geben ihr dabei den nötigen Halt. Der Film verwebt historisches Material mit dem Werdegang der Protagonistin und begleitet diese auf der Suche nach ihrer eigenen Bestimmung.

 

Stab

Produktion: Joakim Demmer Film & TV Produktion

Buch/Regie: Joakim Demmer, Verena Kuri in Zusammenarbeit mit Chiara Minchio

Kamera: Joakim Demmer, Andres Hilarion

Schnitt: Joakim Demmer, Verena Kuri

Ton: Sebastian Reuter, Christian Wilmes

Musik: Matthias Trippner

Redaktion: Nicole Baum

 

Begründung der Jury

Micaela Verón ist keine einfache Protagonistin für einen Dokumentarfilm. Dass sie Vorbehalte aufgrund schlechter Erfahrungen mit den Medien hat, merkt man ihr deutlich an. Sie wägt ihre Worte ab, nimmt Aussagen zurück, die ihr nicht hundert Prozent passend erscheinen, und fühlt sich mitunter gar nicht in der richtigen Stimmung, um O-Töne in die Kamera zu sprechen. Nichts davon versucht der Film zu verschleiern. Er geht im Gegenteil offensiv mit Micaelas Sperrigkeit um und überlässt ihr das Zepter, wo manch anderer Dokumentarist lieber die eigene Oberhand demonstrieren würde. Das ist stark und wichtig, denn „Die Tochter von...“ beschreibt eine junge Frau auf der Suche. Nachdem die Suche nach ihrer verschleppten Mutter ihre Kindheit und Jugend dominierte, hat sie sich nun dazu entschlossen, die Suche nach sich selbst und nach ihrem eigenen Platz im Leben in den Vordergrund zu stellen. Sie steckt mitten in diesem Prozess, mal kämpferisch und optimistisch, mal unsicher und verwirrt.

Es ist die große Kunst des Films, kein Ergebnis vorzutäuschen, wo Unabgeschlossenheit herrscht, aber dennoch ein ermutigendes Bild zu zeichnen, das sich aus dem selbstbestimmten Agieren seiner Protagonistin speist. Joakim Demmer, Verena Kuri und Chiara Minchio haben Micaelas Vertrauen gewonnen, indem sie ihr ein gehöriges Mitspracherecht bei der Entwicklung des Films einräumten. Das Resultat gibt ihnen Recht. Gemeinsam gelingt es, die wohl größte Widersprüchlichkeit des Unterfangens produktiv im Sinne des Zuschauers und der Protagonistin einzusetzen: Micaela will nicht mehr nur "die Tochter von" sein, doch genau dieser Aspekt führte natürlich erst zum dokumentarischen Interesse, und der Zuschauer muss den Fall ihrer Mutter verstehen, um ihre Selbstermächtigung würdigen zu können.

Statt Micaela eine Stimme zu geben, zeigt der Film, wie sie sich nach und nach ihre Stimme nimmt, um erstmals ihre eigene Erzählung zu formulieren. Das geschieht zwar in Argentinien und ist von einem individuellen Schicksal außergewöhnlicher Dramatik und Bedrohung geprägt, führt aber letztlich auch jedem Heranwachsenden hierzulande ein inspirierendes „Coming of Age“ mitsamt den damit verbundenen Selbstfindungsversuchen vor Augen. Sowohl in Micaelas Unsicherheit als auch in ihrem Drang, positive Energie durch eigenes Engagement für die Stärkung der Frauenrechte zu erzeugen, diskutiert der Film mögliche Identifikationsmuster des Erwachsenwerdens und liefert damit eine besondere orientierende Qualität für seine junge Zielgruppe. „Die Tochter von...“ adelt die 3sat-Reihe „Ab 18!“, der immer wieder bemerkenswert kreative, persönlich gehaltene Einblicke in die Erlebnis- und Gefühlswelt junger Erwachsener gelingen.

 
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