Grimme-Preis an
Michael David Beamish (Buch/Regie)
Jasmin Herold (Buch/Regie)
Andreas Köhler (Kamera)
Martin Kayser Landwehr (Schnitt)
Produktion: Made in Germany für ZDF/3sat
Erstausstrahlung: 3sat, Montag, 09. Dezember 2019, 22.25 Uhr
Sendelänge: 80 Min.
Inhalt
„Dark Eden“ ist eine Langzeitbetrachtung des aktuell größten Industrieprojekts der Erde. Auf einer Fläche etwa so groß wie England wird im Norden Kanadas Fracking betrieben: Öl wird Sandmassen abgetrotzt, extreme Eingriffe in die Landschaft ermöglichen die Förderung. Menschen vieler Nationen kommen hierher, verdienen ein Vielfaches im Vergleich zum Lohn in ihren Heimatländern. So hat die unwirtliche Region etwas von einem gewaltigen Goldgräber-Areal. Die prosperierende Industrie ruft auch Gegner auf den Plan. Es sind Umweltaktivisten, aber auch Menschen, die konkret um ihre Gesundheit fürchten oder ihr traditionelles Leben in Gefahr sehen.
Ebenfalls als Zugereiste, zugleich als persönlich Betroffene, erzählt Jasmin Herold von jener Welt, die sie „Dark Eden“ nennt. Sie lässt Gewinner zu Wort kommen, aber auch Menschen, die sich als Opfer des Booms empfinden. Auch Herolds Privatleben erfährt durch Aufstieg und Fall von Fort McMurray eine schicksalhafte Wendung.
Herolds Film ist keine wissenschaftliche Aufarbeitung der umstrittenen Rohstoffgewinnung. Er ist ein vielstimmiges Mosaik, das flammende Anwälte und unerbittliche Ankläger von Fracking sprechen lässt, unkommentiert -– wie Herolds Bilder einer durch den Menschen vermutlich unumkehrbar veränderten Natur.
Stab
Produktion: Made in Germany Filmproduktion
Produzent*innen: Melanie Andernach, Knut Losen
Buch/Regie: Jasmin Herold, Michael David Beamish
Kamera: Andreas Köhler
Schnitt: Martin Kayser Landwehr
Ton: Ansgar Frerich
Musik: Markus Aust
Redaktion: Nicole Baum
Begründung der Jury
Ein langer Umweg führte die Filmemacherin Jasmin Herold zu ihrem Thema. Sie arbeitet in einem kanadischen Obdachlosenheim, als sie von Fort McMurray hört. Ihre Klientel im Heim sind Loser dieses enormen Öl-Booms, der für die einen nie gekannten Wohlstand symbolisiert, für die anderen finanziellen Ruin bedeutet oder ökologische Apokalypse. Jahre später reist Herold ins Zentrum des „Frackings“, verliebt sich, wird Teil der Geschichte jenes düsteren Paradieses, von dem sie erzählen will.
Dies ist kein Film im Stil einer distanzierten Öko-Reportage, die Legionen Wissenschaftler vor die Kamera holt, Sprecher von Ölkonzernen und Umweltpolitiker. „Dark Eden“ ist kein flotter Fakten-Check. Im Gegenteil: ein langer, ruhiger Blick grundiert die Erzählung. Jasmin Herold und Michael Beamish (der Mann, den Herold bei ihrer Recherche kennenlernt und der, wie auch andere in der Region, schwer erkrankt) sind auf ihre Weise Betroffene. Zugleich geben sie ihrer Geschichte viele, überaus unterschiedliche Gesichter. Auf ein und dasselbe Thema blicken wir mit der Verve euphorischer Fans, mit dem Phlegma gleichgültiger Wohlstandsimmigranten, dem Furor erbitterter Gegner und der Verzweiflung entkräfteter Verlierer.
Die Nähe, die dieser beeindruckend fotografierte Film zu seinen Figuren gewinnt, zeitigt nie Voyeurismus. „Dark Eden“ ist ein eindringlicher Beitrag über eine menschengemachte Katastrophe – und darum sind Menschen sein Mittelpunkt: Es sind die selbstgefällige Maklerin und der gewissensgeplagte Priester, der dankbare Aufsteiger aus Deutschland und der mit den Scheuklappen des Fanatismus ausgerüstete Fracking-Befürworter. Den Film vor allem als Porträt- und Charakterstudie zu gestalten, schenkt ihm eine fesselnde, mitunter gar unterhaltsame, ja heiter-schwarze Dramaturgie – und dem Betrachter zugleich immer wieder die Chance, selbst zweifelhafteste Positionen und Haltungen zu verstehen. Wollen wir käuflich werden oder arm bleiben? Ab welchem Jahresgehalt schließt ein Mensch die Augen vor der selbst herbeigeführten Zerstörung?
Dass der Schauplatz dieses Sündenfalls nicht irgendein schwer fassbarer Schurkenstaat ist, sondern mit Kanada ein vermeintliches Musterland unter den Nationen der Welt, schärft die Brisanz des Beobachteten. „Dark Eden“ ist ein listiger Titel. Das Alte Testament beschreibt, wie der Mensch das Paradies verlässt. Er wird von Gott verstoßen aus dem Garten Eden – erst danach tritt Leid und Schmerz in sein Leben. Jasmin Herolds Film erzählt, wie sehr wir diese Anordnung pervertieren. Der Mensch ist es, der die Natur verstoßen hat; sie störte unser Eden. Unser neues Paradies siedelt nicht nah am Abgrund. Viel schlimmer: Es fußt darauf.