… für ihre empathischen und mutigen Reportagen zur Lage der Frauen und Mädchen in Afghanistan (ZDF).
Begründung der Jury
Ausgezeichnet wird Katrin Eigendorf, die in vier jeweils maximal 30-minütigen ,,auslandsjournal‘‘-Reportagen die Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan der Taliban im Laufe des Jahres 2021 dokumentiert: „Kampf um Freiheit – Afghanistans Frauen fürchten die Rückkehr der Taliban“, „Die Rückkehr der Taliban – Wohin steuert Afghanistan?“, „Im Reich der Taliban – Vier Monate nach der Machtübernahme“ („auslandsjournal – die doku“) und „Allein unter Taliban – Eine Reise durch ein erschüttertes Land“.
Die Reportagen geben einen angesichts ihrer Kürze beeindruckend komplexen, konzentrierten und vielschichtigen Überblick über die Entwicklung, die Afghanistan in einem Jahr genommen hat. Anfang 2021 war es noch angezeigt, im Hinblick auf die Zukunft der Frauen im Land Optimismus zu verbreiten, auch wenn die Befürchtungen bereits groß waren. Die zweite und dritte Produktion zeigen die Auswirkungen der Machtübernahme. Die vierte Reportage aus dem Dezember schaute auch dann noch hin, als das Interesse am Thema in der Tagesberichterstattung schon wieder abgeklungen war.
Bereits für sich betrachtet handelt es sich um exzellente Reportagen, die das aspektreiche Ergebnis brillanter Beobachtung, nachvollziehbarer Einordnung in die größere politische Lage und weiterführender Recherche sind. Hier kann Katrin Eigendorf von ihrem über einen langen Zeitraum aufgebauten Netzwerk, ihren Erfahrungen in der Krisenregion und ihrem großen Hintergrundwissen profitieren. Die Produktionen sind aber noch erstaunlicher, wenn berücksichtigt wird, unter welchen Bedingungen sie entstanden sind. So war etwa sehr wenig Zeit für die Dokumentation vor Ort und die Nachproduktion vorhanden. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich sämtliche politischen und sozialen Vorzeichen in einem Land ändern, die Lage unübersichtlich und die künftigen Entwicklungen schwer absehbar sind, gehört zudem viel Mut dazu, im Land zu bleiben, sowie viel Professionalität, diese Lage für das ferne deutsche Publikum spontan einzufangen und in dieser Spontanität jeweils angemessen einzuschätzen und Entwicklungen zu analysieren. Das erfordert nicht nur ein gutes Gespür und viel Sachverstand beim Dreh, sondern auch Beharrlichkeit und Nachdruck in der Kommunikation mit der zuständigen Redaktion.
Die vier Reportagen sind fokussiert auf die Kernthematik, eröffnen aber in ihrer Dichte von Informationen ein ganzes Panorama der afghanischen Gesellschaft während des Ausnahmezustands. Sie stehen im Zusammenhang einer beachtlichen Langzeitbeobachtung und können daher dem aktuell beobachteten Geschehen stets die nötige Kontextualisierung geben. Eine ganz besondere Qualität dieser Arbeit ist ihre Transparenz: Katrin Eigendorf legt dort, wo es für die Einschätzung des Dokumentarischen selbst wichtig ist, jederzeit offen, was die Entstehungsbedingungen waren. So wird etwa deutlich, warum sie an einem bestimmten Ort berichten kann, warum bestimmte Gesprächspartner:innen zu Wort kommen, wer ihr von den Taliban empfohlen wurde und wen sie wann selber kennengelernt hat, aber auch, welche Bilder ihrer Reportagen die Taliban gerne sehen würden, und dass sie (bzw. das ZDF) in mancherlei Hinsicht selbst in das Geschehen in Afghanistan eingreift, was über die eigentliche journalistische Arbeit hinausgeht.
Bei all dem zeigt sie bezogen auf das verbindende Thema aller Reportagen viel Sensibilität für die Protagonistinnen und ihre Situation. Sie gibt ihnen in den Interviews viel Raum und den ihnen zustehenden Respekt. Auch wegen dieses unmittelbaren Zugangs und dem ihr entgegengebrachten Vertrauen kommen die Zuschauenden sehr nah an die Protagonistinnen und ihre Geschichten heran. Dabei wird zugleich deutlich, dass diese Frauen eben nicht nur Opfer sind, sondern für sich stehen und stehen wollen und in der schwierigen neuen Situation bereit sind, für ihre Selbstständigkeit selbst zu handeln. All das macht Katrin Eigendorfs Reportagen zu einem Optimum journalistischen Arbeitens in Krisenzeiten.