(Petrolio Film für ZDF/3sat)
Grimme-Preis an
Carmen Losmann (Buch/Regie)
Dirk Lütter (Bildgestaltung)
Erstausstrahlung/-veröffentlichung:
3sat, Montag, 08. November 2021, 22.25 Uhr
Lauflänge: 84 Minuten
Inhalt
Sind Ökonomie und Finanzwirtschaft gut erklärbar? Carmen Losmann beweist mit ihrem Dokumentarfilm, dass es geht. Sie steigt in die Herzkammern der Finanzindustrie, um mit Banker:innen und Manager:innen über die Frage zu sprechen, wie Geld und Gewinne entstehen. Episodisch kreist sie um das Thema. Im Zentrum des Filmes stehen die Interviews, in denen Carmen Losmann das neoliberale Mantra vom Wirtschaftswachstum beharrlich hinterfragt. Sie hat hochkarätige Persönlichkeiten vor die Kamera bekommen, darunter den derzeitigen BMW-Finanzchef, ehemalige Chefvolkswirte der EZB und der Deutschen Bank oder einen Top-Banker der Investmentgesellschaft Pimco. Durch die Einfachheit mancher Frage geraten hier einige der Gesprächspartner:innen auch schon mal ins Stocken, was einer leisen Komik teilweise nicht entbehrt. Dazwischen platziert sie eine kritische Expert:innenrunde, die in einer Fußgängerzone diskutiert, kommentiert und das ausdrückt, was andere Protagonist:innen nicht sagen wollen oder können. So entstand ein Aufklärungsfilm, der jenseits distanzierter Floskeln der Finanzberichterstattung genau hinschaut, wie Geldkreisläufe funktionieren, und damit höchst aktuell ist.
Begründung der Jury
Dass Carmen Losmann auch spröde Themen meistern kann, hat sie bereits 2011 mit „Work Hard – Play Hard" bewiesen. In gewisser Weise knüpft dieser Film daran an. Er besticht durch eine achtsame und kluge Annäherung an ein hoch abstraktes Thema, dessen komplexe Logik sich nicht so einfach erschließt. Wie entstehen Geld und Gewinne? Wie funktionieren Geldflüsse? Das Prinzip Neugier trägt den Film. Die Regisseurin beweist Mut zu einfachen Fragen, auf die es keine simplen Antworten gibt. Carmen Losmann hat einflussreiche Finanzentscheider:innen und Banker:innen gefragt, wie das System funktioniert. Die scheinbare Naivität ihrer Fragen ist entwaffnend. Beharrlich hakt sie nach und bringt mitunter die Ideenarchitektur ihrer Gesprächspartner:innen ins Wanken. Wir schauen den Banker:innen ins Gesicht und dies verrät zuweilen mehr als manch gesprochenes Wort. Losmann nimmt ihre Protagonist:innen trotzdem ernst und lässt ihnen auch ihren Platz im Expertise-Korridor, den sie oft nur schwer verlassen können.
„Oeconomia“ beobachtet ein System, das sich nur ungern in die Karten schauen lässt. Zum Inventar dieser Produktion gehören daher auch verweigerte Drehgenehmigungen, nachgestellte Konferenzen und aus Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Gespräche. Die Schwierigkeiten verwandelt die Regisseurin geschickt in Stärken des Filmes, indem sie die Bedingungen, unter denen ihr Material entstand, reflektiert.
Der Film balanciert charmant zwischen unaufgeregter Neugier und distanzierter Kühle. Die Regisseurin und Autorin setzt nicht auf billige Polemik, sondern widmet sich sachorientiert den Fragen. Der Film bietet Stoff für Diskussionen und regt an, über die Spielregeln des Finanzsystems nachzudenken. Ihm gelingt in hervorragender Weise, das Thema zu veranschaulichen. Das liegt auch an der Bildsprache, die immer wieder originelle Analogien zum Erzählten findet. Die Kameraarbeit von Dirk Lütter ist exzellent. Die scheinbare Transparenz der Glasfassaden entpuppt sich als undurchdringbares Gespinst. So ist der Film auch ein artifizieller Blick auf Architektur, die natürlich auch die Macht der Geldinstitutionen repräsentiert – kühl und technokratisch. Auch die eingesetzten grafischen Ideen, Diagramme und Zahlen übersetzen sehr klar das Anliegen des Films. Zum Ende gelingt es Carmen Losmann zudem, den Bogen auch zur Klimakrise zu schlagen, indem sie mit der Frage aufwartet, welches System wohl als erstes kollabieren werde – das kapitalistische Finanzsystem oder das Ökosystem der Erde? So schließt sich der Kreis. Über Geld spricht man vielleicht nicht, aber über diesen Film. Die Jury zeichnet einen behutsamen Film aus, der inhaltlich wie formal sehr stringent arrangiert ist, aber nicht auftrumpft, sondern beharrlich Fragen stellt, deren Antworten für uns alle relevant sind.