59. Grimme-Preis 2023

Schlaf

(Junafilm für ZDF/ZDF – Das kleine Fernsehspiel)

 

Preis der Studierendenjury an:

Thomas Friedrich (Buch)

Michael Venus (Buch/Regie)

Gro Swantje Kohlhof (Darstellung)

August Schmölzer (Darstellung)

 

Produktion: Verena Gräfe-Höft

Erstausstrahlung: ZDF, Montag, 07. Februar 2022, 00.15 Uhr

Sendelänge: 94 Minuten

 

Inhalt:

Generationstrauma im idyllischen Stainbach. Die alleinerziehende Marlene (Sandra Hüller) kämpft mit nächtlichen Albträumen von drei Suiziden in einem kleinen Mittelgebirgsdorf. Keinen der drei Männer, noch das Dorf, das die Suizide verbindet, hat sie je zuvor selbst gesehen. Als sie durch ein Werbeblatt auf die reale Existenz des Dorfes aufmerksam wird, begibt sie sich ohne Umschweife dorthin. Als ihre Mutter unangekündigt verschwindet, macht sich auch ihre 19-jährige Tochter Mona (Gro Swantje Kohlhof) auf den Weg nach Stainbach, wo sie im Hotel „Sonnenhügel“ einkehrt, das erschreckende Ähnlichkeit zu den Zeichnungen ihrer Mutter aufweist. Bereits kurz nachdem sie ihre Mutter mit Hilfe des schrulligen Hotelbesitzers Otto (August Schmölzer) in einer psychiatrischen Klinik vorfindet, beginnt eine surreale Suche nach der Wahrheit über die drei Suizide, bei der Traum und Realität nie eindeutig zu trennen sind. Mona findet sich wieder zwischen Schwarzlichtminigolf, dem leerstehenden „Sonnenhügel“, einer Sprengstofffabrik und der Psychiatrie, zwischen drei Generationen an Frauen, hölzernen Schweinsmasken und der NS-Vergangenheit des Dorfes. Es entfaltet sich ein Labyrinth aus deutscher Geschichte, skurrilen Persönlichkeiten und Fragen, auf die nur der Schlaf eine Antwort liefern kann.

 

Begründung der Jury:

David Lynch ist zu Besuch im bayrischen Overlook Hotel. Michael Venus’ Regiedebut „Schlaf“ ist Genrekino durch und durch. Surreal, ruhig und intensiv. Und das aus Deutschland. Doch „Schlaf“ zeichnet noch viel mehr aus als nur der erfüllte Wunsch nach mehr Genre und cineastischem Anspruch im deutschen Fernsehen. Venus schafft es wie kein anderer, die deutsche Provinz mit ihrer Trostlosigkeit und Leere, aber gleichzeitig einer gewissen Romantik einzufangen. Das Dorf selbst steht genauso sehr im Mittelpunkt wie die Figuren und deren Hintergründe. Der Harz als Drehort wird mit seinen wunderschönen, aber gleichzeitig beunruhigend ruhigen Kulissen und Locations zu einem essenziellen Teil des Films, fast zu einem Teil des Casts. Aber auch das tatsächliche Ensemble überzeugt vollkommen: August Schmölzer schafft es in seiner Rolle als Hotelbesitzer Otto gekonnt, die Zuschauer:innen im Hotel „Sonnenhügel“ willkommen zu heißen und ihnen im selben Atemzug ein beklemmendes Gefühl mit auf den Weg zu geben. Die zwei Jugendlichen im Dorf zeichnen unterdessen ein Bild, wie man es selbst aus Vorstadtprovinzen kennt: ein Bild von Tristesse und Langeweile, von Leere und Belanglosigkeit. Es ist aber Gro Swantje Kohlhof, die die Zuschauer:innen in der Rolle der Mona überhaupt erst mitnimmt auf die Suche nach Antworten, die Suche nach der Geschichte, nach der Wahrheit hinter den Träumen.

Ebenso wie das Schauspiel überzeugt auch das filmische Handwerk, auf visueller wie auch auf akustischer Ebene. „Schlaf“ sieht fantastisch aus. Eine eher klassische ZDF-Fernsehoptik wird gemischt mit kunstvoll surrealen Bildern, starken Farbkontrasten, kreativen Schnitttechniken und intensiven Einstellungen. So wird beispielsweise das Colorgrading zum Szenenwechsel zwischen Realität und Traum verwendet oder ein Waldabschnitt wird allein durch die gekonnte Verwendung von Licht in eine andere Welt verwandelt. So erzeugt Venus Angst und Beklemmung, ganz ohne sich auf Geisterbahneffekte, Jump-Scares oder überzogene Gewaltdarstellung verlassen zu müssen. Und das, obwohl der Film trotz seiner Traumthematik zu großen Teilen tagsüber spielt. Dazu kommen dann noch die zugrunde liegenden Thematiken des Films: Neben der Trostlosigkeit der deutschen Provinz setzt sich „Schlaf“ komplett unaufdringlich mit generationsübergreifendem Trauma, Zwangsarbeit und dem Nationalsozialismus auseinander. Dabei werden Probleme nicht nur aufgezeigt und den Zuschauer:innen als emotionale Last mitgegeben, es wird gehandelt. „Schlaf“ funktioniert bei oberflächlichem Betrachten problemlos als beklemmender Horrorfilm, kann aber mit so viel Tiefe aufwarten, dass sich eine intensive Auseinandersetzung mit den behandelten Themen mehr als lohnt.

 
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