59. Grimme-Preis 2023

Zum Schwarzwälder Hirsch – eine außergewöhnliche Küchencrew und Tim Mälzer

(Vitamedia Film für VOX)

 

Grimme-Preis an:

Sascha Gröhl (Produktion/Regie)

André Dietz (Mentor)

Tim Mälzer (Mentor)

 

Produktion: Sascha Gröhl

Erstausstrahlung: VOX, ab Montag, 24. Oktober 2022, 20.15 Uhr

Sendelänge: 3 Folgen, je 92 - 101 Minuten

 

Inhalt:

Die Doku-Realityshow „Zum Schwarzwälder Hirsch“ begleitet den Fernsehkoch Tim Mälzer bei einer großen Herausforderung: Mälzer möchte eine Gruppe junger Menschen mit Down-Syndrom in nur zwei Monaten befähigen, ein Restaurant allein zu leiten, sowohl in der Küche als auch im Service. Das Ganze spielt auf dem Hofgut Himmelreich im Schwarzwald, ein Inklusionsbetrieb, der seit mehr als 20 Jahren erfolgreich Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringt.

Zusammen mit Schauspieler André Dietz, der als Mentor für Tim Mälzer und die junge Crew dient, erlebt das Publikum ein einzigartiges Projekt. Dietz, der sich seit der Geburt seiner Tochter öffentlich für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen einsetzt, bringt seine Erfahrung ein, um das Team in diesem herausfordernden Projekt zu unterstützen. Die Doku-Realityshow zeigt, wie aus den Teilnehmer:innen langsam eine Crew wird und jede:r eine eigene Rolle findet. Man sieht ihnen dabei zu, wie sie wachsen und an Selbstvertrauen und Stärke gewinnen. 

 

Begründung der Jury:

„Zum Schwarzwälder Hirsch“ ist eine Produktion, die in vielerlei Hinsicht herausragend ist. Die Show geht sensibel mit ihren Protagonist:innen um. Sie ist spannend erzählt, kreativ in ihren Mitteln. Aber besonders bemerkenswert ist ihr kritischer Anspruch.

Die Sendung macht von Anfang an klar: Es handelt sich hierbei um ein Projekt, das beweisen soll, dass Menschen mit Down-Syndrom auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten können und es verdient haben, einem Beruf nachzugehen und dafür bezahlt zu werden. Menschen mit Down-Syndrom gelten in Deutschland als „nicht ausbildungsfähig“. Das ganze Setup der Show stellt genau diese Prämisse in Frage. Mehr noch: Sie kritisiert die Tatsache, dass vielen Menschen mit Behinderung nur eine Tätigkeit in Werkstätten übrigbleibt und erhebt damit indirekt eine politische Forderung. Darüber hinaus versucht die Show, an der Vorstellung ihres Publikums, und damit der Mehrheitsgesellschaft, zu rütteln. Wenn sie nur eine Person überzeugen kann, einen jungen Menschen mit Down-Syndrom einzustellen, habe sie schon etwas geleistet, stellt Tim Mälzer zu Beginn klar. Diese politische, fast schon aufklärerische Haltung ist bemerkenswert.

Und dabei bleibt „Zum Schwarzwälder Hirsch“, was es sein soll: gute Unterhaltung. Die Produktion nimmt sich viel Zeit, um die Teilnehmenden einzuführen und vorzustellen. Man lernt die Protagonist:innen kennen, fiebert mit ihnen mit. Die Show thematisiert die komplexe Beziehung zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern mit Down-Syndrom, den Wunsch nach Autonomie und Liebesbeziehungen, ohne voyeuristisch zu sein und nicht einmal besonders pädagogisch, sondern einfühlsam und immer um Augenhöhe bemüht. Der Show gelingt es, ihre Held:innen nie vorzuführen.

Die Show hat Vorbildcharakter, wenn es darum geht Behinderung und Inklusion zu thematisieren. Und das gelingt ihr vor allem durch ihre Haltung. Es gibt kein vorgefertigtes Konzept. Niemand gibt vor, zu verstehen, wie Inklusion wirklich funktionieren kann. Denn Inklusion ist ein Aushandlungsprozess, der davon lebt, dass die Mehrheitsgesellschaft ihre eigenen Vorstellungen hinterfragt, dass sie Platz schafft und ihre Rahmenbedingungen neu denkt. Genau das tun Mälzer, Dietz und Produzent Sascha Gröhl.

Tim Mälzer und André Dietz sind authentisch und selbstkritisch. Sie zeigen sich verletzlich und behaupten nicht, souverän zu sein, wenn sie es nicht sind. Die Protagonist:innen werden nicht in ein nicht-behindertes Setting gepresst. An den Punkten, an denen das gesamte Projekt zu scheitern droht, hinterfragen Mälzer und Dietz in erster Linie sich selbst und den Rahmen des Vorhabens und nicht die Crew. Die Produktion hat es gewagt, das Konzept im Laufe des Projektes anzupassen. Und sie ist sogar bereit, im entscheidenden Moment auf ein großes Kamerateam zu verzichten und auf provisorische Kameras auszuweichen, um die Teilnehmenden nicht zu verwirren und abzulenken. Auch das ist bemerkenswert und trägt zum Erfolg dieser außergewöhnlichen Sendung bei.

Insgesamt ist „Zum Schwarzwälder Hirsch – eine außergewöhnliche Küchencrew und Tim Mälzer" eine einzigartige Produktion, die einfühl- und unterhaltsam zeigt, wie Inklusion gelebt werden kann. Damit ist sie ein wichtiger Beitrag zur Debatte über Behinderung und Teilhabe in unserer Gesellschaft.

 
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