„Mangelnde Wertschätzung“ gegenüber dem Dokumentarischen – das ist das Fazit der Studie „Deutschland – Doku-Land“, die am Berlinale-Eröffnungstag im Rahmen einer Kooperationsveranstaltung der AG Dokumentarfilm (AG DOK) und des Grimme-Instituts in Berlin vorgestellt wurde.
Der Medien-Journalist Fritz Wolf stellt dem Öffentlich-rechtlichen Fernsehen in der neuen Studie damit ein unbequemes Zeugnis aus. Denn die Öffentlich-Rechtlichen haben einen Informations-, Bildungs- und Kulturauftrag zu erfüllen, der mit dem derzeitigen Programmangebot nicht immer abgedeckt wird.
„Viele Sendeplätze, immer mehr Formate – aber immer weniger künstlerische Handschrift“ – das ist das Kernergebnis der empirischen Analyse von dokumentarischen Inhalten im beitragsfinanzierten deutschen Fernsehen.
„Zwar laufen auf den ersten Blick unzählige Produktionen aus allen Spielarten des dokumentarischen Film- und Fernsehschaffens“, so Wolf. Bei genauerem Hinsehen stelle sich aber heraus, dass beispielsweise beim langen Dokumentarfilm im untersuchten Halbjahr rund 60 Prozent der Ausstrahlungen in den Kulturkanälen 3sat und arte, aber nur zwei bzw. ein Prozent im Ersten bzw. ZDF-Hauptprogramm stattfinden.
Mit der von der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst und dem Grimme-Institut unterstützen Untersuchung „Deutschland – Doku-Land“ schließt Wolf an seine ähnlich gelagerte Untersuchung von 2003 an. Was am meisten hervorsticht, ist die starke Zunahme von durchformatierten Programmen. Waren im Untersuchungszeitraum 2002/2003 bereits zwei Drittel aller dokumentarischen Sendungen formatiert, stieg dieser Anteil auf jetzt rund 80 Prozent an. Auch das Themenspektrum sei unausgewogen, so Wolf: „Nur etwa sieben Prozent der dokumentarischen Arbeiten behandeln gesellschaftspolitisch relevante Themen, und gerade einmal drei Prozent beschäftigen sich mit Wissenschaft und Technik“. Dies sei „ein Armutszeugnis“, so der Medienjournalist. Gesellschaftspolitische Themen würden – wenn überhaupt – im langen Dokumentarfilm verhandelt, der aber fast durchgehend ins Spätprogramm abgeschoben sei: Jeder sechste ist laut der Untersuchung erst nach ein Uhr nachts zu sehen.
In zwei Gesprächsrunden erörterten Produzenten, Redakteure und Medienexperten in der Berliner Veranstaltung die Ergebnisse der Studie, dabei forderten die Macherinnen und Macher mehr Aufmerksamkeit für den langen Dokumentarfilm – ein Genre, das mit fundierten Recherchen und künstlerischer Handschrift Antworten auf die komplexen Herausforderungen der globalen Gegenwart sucht.
Petra Hoffmann vom Bundesvorstand der AG DOK sieht durch die neue Studie bestätigt, was der Leipziger Verfassungs- und Medienrechtler Prof. Gersdorf bereits im Herbst vergangenen Jahres in seinem Gutachten zum Rundfunkauftrag forderte: eine stärkere Akzentuierung des Funktionsauftrags zu Gunsten der vernachlässigten Themenfelder Information, Bildung und Kultur in den Staatsverträgen ist seiner Ansicht nach nicht nur verfassungsrechtlich möglich, sondern angesichts der heutigen Programmgestaltung sogar geboten. Für die AG DOK bedeutet das: ARD und ZDF sollten dem Dokumentarfilm endlich feste Sendeplätze in der so genannten Prime-Time einräumen und den zuständigen Redaktionen bessere Budgets einräumen.
Für Dr. Frauke Gerlach, die Direktorin des Grimme-Instituts, ist die fehlende Aufmerksamkeit für das Genre auch eine Folge der zurückhaltenden Eigenwerbung in den öffentlich-rechtlichen Programmen: „Die Sender müssen die dokumentarischen Arbeiten ,mehr ins Fenster stellen‘, die Mediatheken müssen besser werden, mehr Werbung für dokumentarische Programme muss her“.