„Grimme-Archiv“ jetzt in der Deutschen Kinemathek

Werkstattgespräch zur Lage des deutschen Fernsehfilms: „Das Geschichtenerzählen wird sich verbessern!“

Die Mediathek Fernsehen in der Deutschen Kinemathek.
Die Mediathek Fernsehen in der Deutschen Kinemathek. Foto: Jörg Carstensen / Grimme-Institut

Anlässlich der Eröffnung des „Grimme-Archivs“ am 23. Mai 2019 haben die Deutsche Kinemathek und das Grimme-Institut zu einem Werkstattgespräch nach Berlin eingeladen. Nach einem Wiedersehen mit dem 2002 mit einem Grimme-Preis ausgezeichneten Fernsehfilm „Romeo“ von Hermine Huntgeburth und Ruth Thoma wurden Preisträger*innen, Wissenschaftler*innen und Mitglieder von Jurys und Kommissionen des Grimme-Preises eingeladen, über die Produktionsbedingungen und Qualitätskriterien des deutschen Fernsehens zu sprechen.

Im Rahmen eines Werkstattgesprächs zum Thema „War früher einfach alles besser, oder steckt der Fernsehfilm in der Krise?“ sprach Klaudia Wick (Deutsche Kinemathek) mit der Schauspielerin Martina Gedeck, der Regisseurin Hermine Huntgeburth, dem Produzenten Jörg Winger und dem Grimme-Juror und Kritiker Christian Buß über den aktuellen Zustand des deutschen Fernsehfilms. 

„Ein wunderbarer und großer Stoff“

Mit Blick auf die Attraktivität von Rollenangeboten ging die Frage an Martina Gedeck, ob die Lotte Zimmermann aus der Rückschau eine von den guten Rollen gewesen sei oder auch eine, von der sie sagen müsse, dass sie diese leidende Figur nicht mehr spielen würde. Die Antwort von Martina Gedeck war eindeutig: „Nein, ich sehe das auch nicht als leidende Figur. Das ist ja eine ganz vielschichtige, unglaublich interessante und facettenreiche Rolle gewesen und auch ein Mensch, den wir ja über viele Jahre miterleben und die Geschichte, die da erzählt wird, das ist ein wunderbarer und großer Stoff. (…) Das war zurzeit von Hans Janke und da wurden mit Vorliebe komplexe Stoffe verhandelt und auch Stoffe, die mit unserer Gesellschaft zu tun haben und die uns bewegen (…).“

„So eine Art Fernsehklassizismus“

Für Christian Buß stellt dieser Film „so eine Art Fernsehklassizismus“ dar, „der immer geht und er hat durchaus für mich moderne Elemente, indem wie er in die Geschichte reingeht.“ Diese langsamen Einstiege, in denen ein „elegisches Erzählen“ möglich werde, würde man heute auch bei einer guten Serie finden. Martina Gedeck pflichtete ihm bei. Das sei genau der Punkt, die Serie habe „die Art zu erzählen, diese epische Erzählweise“ des früheren Fernsehfilms übernommen und sei deshalb bei den Leuten sehr beliebt.

Serien machen die besseren Angebote

Die Kritik von Hermine Huntbeburth, es seien letztes Jahr leider fast nur Serien ausgezeichnet worden, nahm Christian Buß zum Anlass, klarzustellen, „dass die Serien die besseren Angebote machen“, weil in den Serien sehr viel ausprobiert werde und sich ein Erzählraum öffne, der sehr aufregend sei. Allerdings konzedierte Huntgeburth, dass die Produktion von Fernsehspielen immer stärker unter Eingriffen in Drehbüchern und Besetzungen leide und der klassische Fernsehredakteur, der Lust habe, Neues auszuprobieren, immer seltener anzutreffen sei. Nach Jörg Winger liege dies am Quotendruck, der auf den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten laste und zu einer Formatierung geführt habe, die verlässlich immer wieder die gleichen Muster wiederhole, anstatt die Zuschauer in ihrer Erwartungshaltung zu überraschen. Nach Christian Buß liege hier auch der Grund, warum in den Jurys so wenige 90-Minüter ausgezeichnet werden, weil sich die Juror(inn)en nicht mehr gefordert fühlten.

Das Geschichtenerzählen wird sich verbessern

Jörg Winger sieht sehr optimistisch in die Zukunft. Es gebe viel mehr neue Player auf dem Markt und es gehe jetzt darum, wer die besseren Geschichten erzählt, weil die Zuschauer jederzeit ausweichen könnten. Letztlich werde der Konkurrenzdruck dafür sorgen, dass sich das Geschichtenerzählen verbessern werde, weil es sein müsse, um die Zuschauer zu halten. Der Mut, Dinge auszuprobieren, werde am Ende belohnt. Wer immer das Gleiche mache, werde auch nicht auffallen.

Qualität braucht Zeit

Qualität brauche Zeit und gute Arbeitsbedingungen. Für Hermine Huntgeburth ist es wichtig, dass der Grimme-Preis diese neuen Entwicklungen aufgreife – jenseits der Quotendiskussion: „Was ich wirklich toll finde am Grimme-Preis, dass es wirklich um Qualität geht und dass es das ist, worum es dem Institut geht (…). Und das muss erhalten werden, weil das ist ja das Ureigene des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.“

Im zweiten Teil der Veranstaltung sprach Klaudia Wick mit Dr. Frauke Gerlach (Direktorin des Grimme-Instituts), Prof. Dr. Christoph Neuberger (Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LMU München) und Barbara Sichtermann (Publizistin, Jurorin) zum Thema „Wie bemisst sich Qualität? – Zu einem geplanten Forschungsprojekt des Grimme-Instituts.“

Audio-Mitschnitte der Protokolle sehr wertvoll

Der Grund für das Vorhaben, den Grimme-Preis wissenschaftlich zu erforschen, ist für Frauke Gerlach ein sehr einfacher: die Materialien im Grimme-Institut seien sehr wertvoll und zum Teil unikal, wie etwa die zum Teil erhalten gebliebenen Audio-Mitschnitte der ersten Jury-Sitzungen in der Frühzeit des Grimme-Preises und andere Materialien, die es erlauben, die Qualitätsdiskurse der Vergangenheit lückenlos für die Gegenwart fruchtbar zu machen.

Spannende Aushandlungsprozesse über Qualität

Christoph Neuberger betonte die einmalige Chance, die darin läge, diesen gesamten Diskurs nachzuzeichnen, der in über 50 Jahren geführt worden sei. Dabei zeige sich, dass es keine absoluten Qualitätsmaßstäbe gebe, „die man einfach schematisch anlegen kann und wo man schlicht auf den Millimeter messen kann, was nun gut und was schlecht ist. Das Spannende ist, das wir ständig Aushandlungsprozesse haben darüber, was den im Moment gerade Qualität ist.“

Grimme-Preis als Gegenpol zur NS-Propaganda

Für Frauke Gerlach zeichnet sich der Grimme-Preis auch dadurch aus, dass ihn die Volkshochschulen als direkte Antwort auf den Missbrauch der Massenmedien durch die NS-Propaganda aus der Taufe gehoben haben, um die Bevölkerung zu bilden und aufzuklären und Kompetenzen im Umgang mit dem Medium Fernsehen aufzubauen. Aber auch der Grimme-Preis unterliege dem Wandel, insbesondere was die Zusammensetzung der Kommissionen und Jurys angehe, so Frauke Gerlach: „In den 1970er Jahren war das Frauenbild in den Jurys sicherlich anders als heute, wo sozusagen von lauter Weibern das Grimme-Institut geleitet wird, von Frau Eskes und mir, wo wir erst einmal ordentlich Frauen in die Jurys geholt haben und in die Nominierungskommissionen.“ Dies sei ein wichtiger Punkt, den das Grimme-Institut gestalte, „aber dann, wenn sie zusammensitzen, dann sind sie frei. Dann sitzen wir dabei und sehen zu, dass sie gut versorgt sind.“ 

Claudia Wick schloss die Runde mit einem Ausblick auf den geplanten DFG-Forschungsantrag verbunden mit der Einladung, dessen Ergebnisse in der Kinemathek vorzustellen. 

 
Foto: Jörg Carstensen / Grimme-Institut
Foto: Jörg Carstensen / Grimme-Institut
Foto: Jörg Carstensen / Grimme-Institut
Foto: Jörg Carstensen / Grimme-Institut
Foto: Jörg Carstensen / Grimme-Institut
Foto: Jörg Carstensen / Grimme-Institut
Foto: Jörg Carstensen / Grimme-Institut
Foto: Jörg Carstensen / Grimme-Institut